: Diesen Tag anders feiern
Der Autor las und rauchte: Deutsche Verleger hatten lange Angst vor dem schwarzen Humor seiner Texte. Nun gibt es die Edgar-Hilsenrath-Werkausgabe im Dittrich-Verlag
Andächtig stehen die Leute Schlange. Vor ihnen, in der Ecke des kleinen Lesesaals der Dorotheenstädtischen Buchhandlung, sitzt der alte Edgar Hilsenrath und raucht. Gemessen schreibt er seinen Namen in zerlesene Bücher. Das Programm des Abends: Der Schriftsteller Jürgen Rennert und die Schauspielerin Margarete Hamm lesen Hilsenrath. Doch die Attraktion ist der Autor selbst.
Hilsenrath ist nicht irgendwer. Die Weltauflage seiner Bücher beträgt mehr als fünf Millionen Exemplare, sie sind in 18 Sprachen übersetzt, in 22 Ländern veröffentlicht. Nur in Deutschland, dem Land jener Sprache, in die er sich eigenen Angaben nach „verliebt“ hat, kennt ihn nach wie vor kaum jemand. Das ist bezeichnend.
1944 von der Roten Armee aus dem transnistrischen Ghetto Mogilev-Podolsky befreit, überlebte Hilsenrath als einer der wenigen europäischen Juden die Schoah. Er schlug sich nach Palästina durch und emigrierte von dort 1951 nach New York, wo er bis 1975 lebte. Sein über tausendseitiger Text „Nacht“ (1964) und sein Erfolgsroman über einen SS-Massenmörder, der die Identität eines jüdischen Jugendfreundes annimmt – „Der Nazi und der Friseur“ (1971) – reüssierten u. a. in den USA, Italien und Frankreich. Doch in Deutschland wurden die Romane bis 1977 von etwa 60 Verlagen mit der Begründung abgelehnt, so könne man über den Holocaust nicht schreiben.
„Die Nachfolgegeneration der Täter wollte dem Opfer erklären, wie angemessenes Schreiben über die Schoah auszusehen habe“, kritisierte der Moderator der Lesung, Helmut Braun, Herausgeber der jetzt im Dittrich-Verlag neu erscheinenden Hilsenrath-Werkausgabe. Und der gastgebende Buchhändler Klaus-Peter Rimpel erinnerte eingangs in ironischer Anspielung auf den ehemals am 20. April gefeierten Geburtstag Adolf Hitlers: „Das ist heute ein besonderes Datum, und wir wollen dem Tag einmal etwas Gutes abgewinnen.“
Das gelang: Rennert und Hamm erwiesen sich als einfühlsame Vorleser. Während Hamm den elegischen Epilog des historischen Bukowina-Panoramas „Jossel Wassermanns Heimkehr“ (1993) eher tastend und leise vortrug, gab Rennert das erste Kapitel des bis heute von so vielen Lesern als schockierend empfundenen Werks „Der Nazi und der Friseur“ betont impulsiv wieder. Zuletzt las Hilsenrath selbst noch zwei seiner kurzen Satiren.
Schwärzester Humor ist das Markenzeichen des heute in Berlin lebenden Autors. Hilsenrath greift zu bitterböser Satire, um der Schoah-Thematik beizukommen – wohl einer der Gründe dafür, warum deutsche Verleger so lange Angst vor seinen Texten hatten: Dies war keine „politisch korrekte“ Prosa, wie man sie von der deutschsprachigen Nachkriegsliteratur zu vernehmen gewohnt war, in der die „andere Erinnerung“ jüdischer Emigranten ohnehin systematisch missachtet und ausgegrenzt wurde. Die bis heute schleppende deutsche Rezeption Hilsenraths ist Beleg für das ungebrochene Fortbestehen dieser Ignoranz.
„Die haben wohl gedacht, Hilsenrath würde nichts mehr schreiben“, sagte Braun am Ende des Abends gegenüber der taz, um entschlossen hinzuzufügen: „Aber das ist falsch – wir werden noch einen unveröffentlichten Roman herausbringen. Und Hilsenrath schreibt weiter!“ Na dann: Massel tov, Herr Hilsenrath! JAN SÜSELBECK