: Ein Herz für sture Esel
Arm, hungrig und in Sachen Liebe unterwegs: Solche Helden liegen Gil Mehmert, Regisseur an vielen Theatern und eigener Filme. Nie fehlt ein Gespür für musikalisch strukturiertes Erzählen. Am Münchner Volkstheater lässt er jetzt den Fallada tanzen
VON SABINE LEUCHT
Der kleine Mann, den er sich diesmal vorgenommen hat, ist einer, den man leicht vergisst. Als ein schlappes Fähnlein im allzu bissigen Gegenwind steht und biegt sich Leopold Hornungs Figur des Pinneberg auf der Bühne des Münchner Volkstheaters. Man muss sich in Gil Mehmerts Bühnenversion von Hans Falladas Wirtschaftskrisenklassiker „Kleiner Mann – was nun?“ nicht wirklich für ihn interessieren. Er tut sich schon selbst allzu Leid.
Dabei ist die Geschichte des Regisseurs Mehmert eigentlich von anrührenden kleinen Männern voll: Männer wie der kleine Angestellte Henri Boulanger, der in „I hired a Contract Killer“ Job und Lebenslust verliert, dann aber das Blumenmädchen Margret trifft. Fortan ist er damit beschäftigt, den Auftragskiller wieder loszuwerden, den er auf sich selbst angesetzt hat. Oder Männer wie der Dockarbeiter Eddie Carbone in Arthur Millers „Blick von der Brücke“, der aus Eifersucht zum Denunzianten wird. Wie der „kleine Mann“ Pinneberg hat Eddie „Prinzipien“. Kurz: Er ist ein sturer Esel, der nur spurgetreu denken kann. Und dennoch formten Mehmert und der Schauspieler Thorsten Krohn den Eddie zu einem, den man ins Herz schließt. Denn eigentlich weiß Mehmert sehr genau, dass sich das mit Karikatur und Überzeichnung wunderbar verträgt.
Dass das bei Pinneberg nicht klappt, der von Arbeitslosigkeit und Mietwucher bedroht durchaus ein Mann von heute hätte werden können – nun, Leopold Hornungs Fehler ist es nicht. Die Geschichte ist als Comic angelegt, und da kümmert es einen selten, wenn die Typen Schritt für Schritt gen Abgrund taumeln.
Insofern ist die aktuelle Premiere von „Kleiner Mann – was nun“ im Münchner Volkstheater nicht die beste Gelegenheit, um einen großartigen Regisseur vorzustellen, der die ganz große Karriere – noch – nicht gemacht hat: 1965 in Westfalen geboren, hat Mehmert zunächst ein Solistenstudium an der Musikhochschule Köln begonnen, um dann in München bei August Everding das Regiehandwerk zu lernen. Seit 1992 inszeniert er als freier Regisseur in Augsburg, Rostock, Kiel, Graz, Coburg, Potsdam, Bochum und Zürich. In seiner Heimatstadt München arbeitet er sich aus der freien Szene heraus langsam an die großen Theater im Herzen der Stadt heran. Mehmert war bereits Lehrbeauftragter an der Bayerischen Theaterakademie und hat seit dem Wintersemester eine Regieprofessur an der Folkwang-Hochschule in Essen inne. Er inszeniert oft Musicals – und immer hochmusikalisch. Wenn sich bei ihm die Bühne dreht oder Kisten und Koffer über die Bretter wandern – und das geschieht öfter mal –, dann stimmen der Rhythmus und jedes Detail, und dennoch wirkt es niemals mechanisch.
Mehmerts Theaterszenen sind mit „choreografiert“ nur unzureichend beschrieben. Sie ergießen sich förmlich über die karg möblierte Bühne, eine fließt in die andere, und zuweilen zuckeln sie auch nebeneinander her. Auch in „Kleiner Mann – was nun“ gelingt das prächtig. Figuren aus entlegenen Handlungssträngen schieben sich nacheinander in die kleine Welt von Pinneberg und seiner schwangeren Frau Lämmchen. Im engen Hohlraum unter der multifunktionalen Treppe wird die Begegnung mit Lämmchens dauerqualmenden Eltern zu einem wahren Kernfamilienschocker, auf der oberen Treppenstufe sitzt das brave Paar bei wässriger Erbsensuppe beisammen – bis sich ein singender Telegrammbote mitten hindurchschlängelt und eine Nachricht aufs Parkett steppt. Da merkt man, dass Mehmert vom Musical kommt.
Überhaupt ist es bei ihm ein wenig so, als ob die Dinge Zauberkräfte innehätten und die Menschen nur geträumt würden. Manchmal ist das schön, manchmal aber auch schrecklich und komisch, wie etwa das Hervorquellen der sagenhaft weltverdrossenen Vermieterin aus allen Ritzen der Bühne zugleich. Geträumt hat Gil Mehmert zum Beispiel auch mal, dass Günter Netzer ursprünglich eine Figur aus einem „Tipp-Kick“-Spiel war. Daraus hat er mittlerweile einen Film gemacht, der voraussichtlich im Spätsommer in die Kinos kommt: Eine philosophische Komödie mit reichlich abgedrehter Story, in deren Zentrum ein melancholischer Held namens Hans-Günter steht. Mit dabei in „Aus der Tiefe des Raums“ ist die Musik von „Unsere Lieblinge“, die auch schon den „Contract Killer“ „musikalisch eingefettet“ hatten, wie 3sat dichtete. Der Sender hat die Inszenierung im Münchner Metropol-Theater nämlich aufgezeichnet, als sie 2001 den Theaterpreis beim Impulse-Festival gewann.
Pomade, Lautmalerei und das Spiel mit Klischees gehören zum Mehmert-Theater wie die Vokabeln „armes Theater“ und „Lakonie“. Wie die Namen seiner Vorbilder Aki Kaurismäki, Woody Allen und Jacques Tati. Beim „Kleinen Mann“ tragen die drei Live-Musiker brav gegelte rote Seitenscheitel und geben ihre Instrumente her, wenn Pinneberg mal Dampf ablassen muss. Die Musik ist jazzig und gründelt wie die Kostüme ein wenig in der Entstehungszeit des Romans.
Neu, aber schon mit Patina – das ist vielleicht ein weiteres Kennzeichen vieler Mehmert-Werke: „Ukulele Blues“, sein erster Kurzfilm, der auch einige Preise eingeheimst hat, wurde in Schwarzweiß gedreht und monochrom nachkoloriert. Die Geschichte dazu hat sich der Regisseur selbst ausgedacht; und wieder geht es um einen kleinen Mann, einen Straßenmusiker diesmal, wieder arm und hungrig, wieder in Sachen Liebe unterwegs. Und sicher wieder dabei, in vielen Herzen Fuß zu fassen.