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Archiv-Artikel

„Solange US-Soldaten im Irak sind, gibt es keinen Frieden“, sagt Tariq Ali

Chronik eines angekündigten Desasters: Die USA machen als Besatzer im Irak falsch, was man falsch machen kann

taz: Glauben Sie, dass die USA ihr Ziel – einen demokratischen, westlichen orientierten Irak – noch erreichen können?

Tariq Ali: Nein. Ihr Ziel war es, in einem arabischen Land zu intervenieren und diesen Staat künftig als Basis zu nutzen. Die USA wollten im Irak ein Beispiel für ihre imperiale Macht schaffen – und das ist komplett schief gegangen. Die interessante Frage ist: Warum wussten sie das nicht vorher? Dieses Desaster kam ja nicht überraschend. Es war absehbar. Jeder, der den Irak kennt, hat gesagt: Es wird einen lang anhaltenden Widerstand geben. Seid bloß nicht überrascht.

Warum also dieser Irrtum?

Ich glaube, wichtig waren die „State Department Arabs“, US-Amerikaner arabischer Herkunft, die zu den Neokonservativen gehören. Das waren eine Hand voll Experten, die der Bush-Regierung genau das erzählten, was sie hören wollte: nämlich dass die US-Truppen im Irak mit Blumen überhäuft würden. Das haben viele geglaubt – übrigens am wenigsten im Pentagon. Die Militärs waren skeptisch. Leider haben Bush, Rumsfeld und Cheney nicht auf sie gehört.

Die USA hoffen nun auf den 30. Juni. Dann soll die Macht in irakische Hände gelegt werden. Wird das etwas ändern?

Nein. Selbst wenn die USA diesen Termin halten können – was ändert sich denn dann? Die USA werden die Macht an Leute übergeben, die sie selbst ausgesucht haben. Und das US-Militär bleibt im Land. Das ist nichts als ein zynischer Winkelzug – damit die US-Regierung sagen kann: Seht her, wir haben die Macht übergeben!

Trotzdem: Ist es nicht langfristig möglich, dass sich eine moderate irakische Regierung stabilisiert? Und dass die Gewalt langsam abnimmt?

Nein, nicht solange fremde Truppen im Irak bleiben …

Sind Sie sicher?

Absolut.

Warum?

Zum einen wegen der Geschichte des Irak. Das Land war jahrzehntelang britisch besetzt – und hat Erfahrung darin, Besatzer erfolgreich loszuwerden. Und die Briten haben sich klüger angestellt als die USA und die lokalen Eliten zur Kollaboration verführt. Das ist der zweite Grund, warum der militante Widerstand weiter gehen wird. Die USA scheinen als Besatzungsmacht auf die israelische Art der Okkupation zu setzen – erst schießen, später fragen.

Woher die Unfähigkeit der USA, die Eliten zu gewinnen?

Zum einen bieten die USA ökonomisch zu wenig. Die großen Aufträge für den Wiederaufbau gehen nicht an Iraker, sondern an US-Firmen. Damit schüren die USA heftige Ressentiments gegen sich – und zwar genau bei den Gruppen – Mittelstand, Händler, Geschäftsleute – die sie brauchen. Außerdem haben die USA sich politisch sehr töricht benommen: Sie haben alle Mitglieder der Baath-Partei – und damit eine ganze säkulare Partei – vom politischen Prozess ausgeschlossen, nur weil Saddam Hussein ihr Führer war. Dabei sind auch viele Funktionäre der Baath-Partei von Saddam getötet und unterdrückt worden. Stellen Sie sich vor, das Gleiche wäre in Osteuropa nach 1989 geschehen. Es hätte keinen Präsident Jelzin gegeben, der ja vorher im Politbüro der KPdSU war. Es gäbe keine polnischen Exkommunisten, die heute Bushs Irakkrieg unterstützen.

Trotzdem gibt es Hinweise, dass der militante Widerstand eingehegt wird. Der radikale schiitische Islamist al-Sadr hat kürzlich die Autorität des moderaten Führers Sistani anerkannt. Ein Zeichen einer möglichen Befriedung?

Solange fremde Soldaten im Irak sind, wird es keine Beruhigung geben. Sistani muss und wird sich öffentlich zum Widerstand bekennen. Je länger er zögert und Radikalen wie al-Sadr das Feld überlässt, umso schlimmer wird es.

Gibt es die Gefahr, dass der Irak in einen sunnitischen, einen kurdischen und einen schiitischen Teil zerfällt?

Eher nicht. Die Versuche der Besatzungsmächte, Schiiten und Sunniten im Irak gegeneinander auszuspielen, sind bislang jedenfalls gescheitert. Sistani hat mehrfach sunnitische Führer getroffen und darauf beharrt: Wir dürfen uns von den Besatzern nicht auseinander dividieren lassen. Als die USA das sunnitische Falludscha bombardierten, schickten auch schiitische Moscheen Lkws mit Medizin und Lebensmitteln nach Falludscha. Das Gleiche geschah – umgekehrt – nach dem Terroranschlag auf die heilige Stadt der Schiiten Kerbela. Das zeigt, dass es ein irakisches Nationalbewusstsein gibt.

Ist das nicht eher eine Zwangsgemeinschaft gegen die USA, die zerfallen wird, wenn der letzte US-Soldat den Irak verlassen hat?

Nein, dieses Bewusstsein gab es, bevor die Amerikaner kamen, und es wird nicht verschwinden, wenn sie gehen. Man darf nicht vergessen, dass im Krieg gegen den schiitischen Iran sogar hauptsächlich irakische Schiiten gekämpft haben. Ich bin, trotz der verheerenden Politik der USA, nicht pessimistisch. Falls es irgendwann echte Wahlen und ein Parlament geben sollte, bin ich sicher, dass dort ein Mix von Gruppen zusammenkommen wird, der sagen wird: Iraq first.

INTERVIEW: STEFAN REINECKE