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Archiv-Artikel

Wenn die Müllcontainer brennen

Eine Silvesternacht mit der Freiwilligen Feuerwehr Eidelstedt: Jugendliche beschießen die Löschkräfte mit Feuerwerks-Raketen, Anwohner bringen Berliner und Kaffee. Der Sekt wird dann erst in den frühen Morgenstunden geköpft

SILVESTER-FEUERWEHR

Insgesamt rückte die Hamburger Feuerwehr in der Silvesternacht zu 1.168 Einsätzen aus, 80 mehr als im Vorjahr. Das große Feuerwerk am Hafen mit rund 25.000 Besuchern blieb ohne ernste Zwischenfälle, mehrere Menschen wurden durch Feuerwerkskörper im Gesicht und an den Händen verletzt. Beim Löschen einer brennenden Holzhütte an der Hafenstraße wurden Polizisten und Feuerwehrleute mit Flaschen, Steinen und Feuerwerkskörpern angegriffen. Drei Polizisten wurden verletzt, zwei Peterwagen beschädigt, eine Verdächtige festgenommen. Auch im Schanzenviertel flogen Feuerwerkskörper und Flaschen auf Polizisten. DPA

Fritz Kay Bahlo, den alle „Fritz“ nennen, kommt nach der Auskunft, er sei 44 Jahre alt, gerade noch dazu, als Berufsbezeichnung „Vertriebsbe…“ anzugeben, da jault der erste Alarm los. Es ist 21.13 Uhr am Silvesterabend. Fritz Bahlo muss nur in die Stiefel springen, die Hosen hoch-, die Jacke anziehen und den Helm aufsetzen, um fertig zu sein.

Die Freiwillige Feuerwehr Eidelstedt sitzt schon in den drei Einsatzfahrzeugen, die Motoren laufen, da kommt die Ansage: „Fehlalarm.“ Uff.

Bahlo, Vertriebsbeauftragter einer Firma für Steckverbindungen und Wehrführer der Freiwilligen Feuerwehr, setzt sich wieder an den Tisch des Schulungsraums. 34 Männer und vier Frauen hat die Einsatzabteilung, darunter Andrea Bahlo, 40 Jahre alt, die sich im August 2008 bei einem Einsatz mit einer Motorsäge die Sehne im Ringfinger der rechten Hand durchtrennt hat. „Sauber“, wie sie betont.

An die Wand im Schulungsraum werden per Beamer die Einsätze der Feuerwehr im Stadtgebiet Hamburg projiziert. Es gehe bei der Frage, welche Wehr welchen Einsatz bekommt, immer um „Einsatzart und Entfernung zum Einsatzort“, erklärt Bahlo. Also bekommt die Eidelstedter Feuerwehr nicht alle Einsätze in Eidelstedt, dafür aber Einsätze in Niendorf oder Altona, wenn es passt.

Heute Abend sind 22 Feuerwehrleute bereit, im Schulungsraum hängen Girlanden und Luftschlangen, es gibt Luftballons und Nudelsalat, Frikadellen und Würstchen. Vier Feuerwehrleute spielen Doppelkopf, einer holt gerade ein Brettspiel, als es wieder heult. 22 Uhr, drei Müllcontainer am Eidelstedt-Center brennen. 22.02 Uhr sitzen wir in den Einsatzfahrzeugen, 22.05 Uhr ist die Feuerwehr da. Brennendes Plastik stinkt fürchterlich.

Zurück, noch nicht ausgezogen, Alarm. Im Graf-Johann-Weg in Schnelsen: Müllcontainer. „Wenn das Plastik des Containers schmilzt, schließt sich da die Glut ein, schwer zu löschen“, erklärt Bahlo. Anschließend Graf-Ernst-Weg in Schnelsen. Müllcontainer. Danach wieder Graf-Johann-Weg. Müllcontainer. Immer Brandstiftung. Schnelsen ist ein heißes Pflaster. Das Wort „sozialer Brennpunkt“ wird konkret.

Auf dem Weg zum Reemstückenkamp in Schnelsen sieht Bahlo Jugendliche, die sich an Müllcontainern zu schaffen machen. Er hält an, zwei Burschen, Kapuzen überm Kopf, machen sich aus dem Staub. Bahlo steigt aus, findet einen Benzinkanister und mehrere Müllcontainer, deren Inhalt mit Benzin getränkt ist. Er ruft die Polizei, die fordert Verstärkung an: „Hier brennt jeder dritte Container.“

Zurück in den Graf-Johann-Weg eskaliert die Situation. Eine brennende Straßensperre, dahinter ein qualmender Container, Jugendliche bewerfen Feuerwehrleute mit Feuerwerkskörpern. Die Straßensperre wird weggeschafft, der Brand gelöscht. „Nur notdürftig“, sagt Bahlo. Er ruft die Polizei und befiehlt den Rückzug, das ist ihm zu brenzlig. Auf dem Weg in den Wache kommen der Feuerwehr drei Polizeiautos entgegen. Bahlo dreht, fährt wieder in den Graf-Johann-Weg. Eine noch größere Straßensperre, noch mehr Feuer. Polizei und Feuerwehr beseitigen die Straßensperre, zur Verstärkung kommt Berufsfeuerwehr.

Irgendwann ist Mitternacht, der Jahreswechsel ist untergegangen. Im Astweg in Eidelstedt brennt ein Keller. Es gibt hier eine überbaute Brücke, von der Feuerwehrleute mit Raketen beworfen werden. Ein Hydrant ist zugefroren. Es wird gegafft, mit dem Handy fotografiert, telefoniert, getanzt. Grotesk und hektisch, die Polizei sucht einen Mann mit Pudelmütze, das Feuer hat ziemliche Ausmaße, es könnte aufs Haus übergreifen. Auf der Straße haben einige Spaß, im Haus einige Angst.

Im Alpenrosenweg in Eidelstedt brennt ein Müllcontainer, in der Jungliebstraße in Schnelsen auch. Hier schießen die Anwohner nicht mit Raketen, hier bringen sie Berliner und Kaffee.

Gegen drei Uhr wird es ruhiger, gegen sechs ist Schluss. Irgendwann dazwischen köpfen Bahlo und seine Leute den Sekt, der in seinem Fahrzeug liegt.

ROGER REPPLINGER