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Archiv-Artikel

Eine Spur von Trotz

Der große schwarze Mohair-Schal – oder Sich sehen lassen und sich verstecken: Das Label Reality Studio der Berlinerin Svenja Specht weiß Widersprüche zu nutzen und spielt mit japanischen Anmutungen. Porträt einer Modemacherin

VON ELISABETH RAETHER

Letzten Winter trug ich einen der großen schwarzen Mohair-Schals von Reality Studio. Der Stoff ist hochwertig, was man schon daran sieht, dass der Schal immer noch perfekt aussieht, obwohl ich ihn schon so oft getragen habe. Ich wurde oft von Frauen auf den Schal angesprochen. Sie fragten mich, woher ich den hätte; Freundinnen, die Mutter meines Freundes, fremde Frauen in Cafés.

Ich glaube, das liegt daran, dass Frauen manchmal Kleidungsstücke gern mögen, in denen sie sich verstecken und dem Blick anderer entziehen können. Männer kennen dieses Bedürfnis nicht, glaube ich. Von dem einen oder anderen wurde ich nur manchmal gefragt, ob ich mir einen so großen Schal angezogen hätte, weil ich erkältet sei.

Svenja Spechts Entwürfe erzählen eine Geschichte. Blättert man durch die Lookbooks der letzten Kollektionen von Reality Studio, vermittelt sich eine bestimmte Idee von Weiblichkeit: eine Frau, die gefallen will, was ja schließlich ein grundlegendes Motiv jeder Mode ist, aber dieses Motiv ist vielfach gebrochen, denn Frauen wollen und müssen ja nicht mehr um jeden Preis gefallen.

Es gibt bei Reality Studio eine Phoebe-Philo-hafte Mädchenhaftigkeit, etwas leichtfertig Hübsches, fast Liebliches: eine cremefarbene Bluse mit kleinen Katzenmotiven, ein schwarzes durchscheinendes Kleid, eine Bluse aus blau schimmerndem Satin, ein knallpinker Rock, ein karmesinrotes tailliertes Kleid; und es gibt Pastellfarben wie Apricot und sehr helles Blau.

Aber andere Entwürfe sind so trotzig, verschlossen und spröde wie der riesige schwarze Schal aus der letzen Winterkollektion: eine weite Hose, die die Umrisse des weiblichen Körpers verschiebt, eine dunkelgrüne Bluse, deren Ärmel so lang sind, dass die Hände darin verschwinden, eine voluminöse wattierte graue Jacke. Diese Ideen erinnern an die raue, intellektuelle Mode der Japanerin Rei Kawakubo, der Gründerin des Labels Comme des Garçons, die sich in den frühen Achtzigerjahren als Erste mit der Frage befasste, ob Mode auch etwas anders als hübsch sein kann.

Vieles verbindet sie mit Asien, sagt Svenja Specht. Nach dem Studium hat sie drei Jahre in Peking gelebt, wo sie in einer Grafikagentur arbeitete.

Sie weiß auch nicht genau, was es ist – der ausgeprägte Formwille der Asiaten, die fernöstliche Gelassenheit im Umgang mit Widersprüchlichem. Immer wieder jedenfalls ist der asiatische Einfluss in ihren Entwürfen zu sehen: ein Kimono-Ärmel, ein Mao-Kragen, ein Yukata-Gürtel. In Japan hatte sie auch ihre ersten Erfolge mit Reality Studio.

Das war vor knapp vier Jahren, als einem japanischen Agenten, der zu Besuch in Berlin war, in einem Showroom Svenja Spechts erste Kollektion auffiel. Er sorgte daraufhin dafür, dass es diese Kollektion gleich in mehreren Geschäften in Japan zu kaufen gab.

Zunächst arbeitete Svenja Specht von ihrer Wohnung in Mitte aus, bald stellte sie eine Praktikantin ein, dann eine Assistentin. Gerade ist sie in ein größeres Atelier nicht unweit des Volksparks am Friedrichshain gezogen. Im Frühjahr wird sie ihre neunte Kollektion zeigen. Sie beliefert inzwischen Läden in ganz Deutschland (in Berlin zum Beispiel Styleserver in der Oderberger Straße) und in mehreren europäischen Ländern, in Japan und in den USA. Man kann ihre Kollektionen außerdem bei dem großen amerikanischen Online-Store revolveclothing.com kaufen, der auch Marken wie Acne Jeans und By Malene Birger anbietet.

Svenja Specht wollte schon früh ein eigenes Label haben, und der Weg dahin erscheint geplant und strukturiert. An der Staatlichen Modeschule in Stuttgart wurde ihr das Handwerk beigebracht und während des Produkt-Design-Studiums an der Hochschule Niederrhein in Krefeld, was Funktionalität ist. Mode zu verkaufen, lernte sie als Designerin bei einem großen deutschen Textilunternehmer, einer dieser Fußgängerzonen-Ketten, für die sie später eine Zeit lang von Paris aus arbeitete. Und bei dem Kölner Designkollektiv Little Red Riding Hood erfuhr sie einiges über die besonderen unternehmerischen Strategien eines kleinen Labels.

Modedesigner als Künstler zu bezeichnen, ist eine Idee, die sich inzwischen durchgesetzt hat (auf der Liste der Berufe, die die Künstlersozialkasse als „selbständige Künstler“ versichert, steht der Modedesigner zwischen dem Performancekünstler und dem Karikaturisten). Die Mode hat die Vorurteile, die man einmal gegen sie haben konnte – frivol, eitel, misogyn, für Snobs! – heute überwunden. So weit sogar, dass der heutige Begriff von Mode manchmal etwas Kunstbeflissenes hat – besonders ein Problem kleinerer Label. Die Modejournalistin der New York Times, Cathy Horyn, schrieb neulich über die sehr konzeptuelle Kollektion, die Miguel Adrover für das deutsche Öko-Versandhaus Hess Natur entworfen hatte: „Vielleicht wird ein Museum die Teile kaufen.“

Svenja Specht aber macht Kleider für Frauen, nicht fürs Museum. „Ich stelle mir für meine Entwürfe nicht unbedingt eine bestimmte Frau vor. Aber ich mag die Idee, dass Frauen – Frauen, die ich gar nicht kenne – meine Kleidung tragen und sich darin bewegen.“