„Kästchendenken geht nicht mehr“

Grünen-Haushaltsexperte Oliver Schruoffeneger rechtfertigt, warum seine Fraktion nicht wie beim Flughafen sparen mag, um geringere Sozialleistungen zu verhindern

taz: Die Grünen erscheinen so sparwütig, dass man meinen könnte, Finanzsenator Sarrazin habe Sie engagiert, um Rot-Rot auf harten Kurs zu treiben.

Oliver Schruoffeneger: Es geht nicht um den harten Sparkurs, es geht um einen realistischen Sparkurs. Rot-Rot hat Versprechungen gemacht, die von vornherein unrealistisch waren, hat versprochen, den Haushalt bis 2006 zu konsolidieren. Wir haben immer gesagt, dass man dafür deutlich länger braucht …

bis wann?

Bis 2015. Wir haben auch gesagt, dass wir die Bundeshilfen brauchen. Auch das hatte Rot-Rot bestritten. Wir legen Wert darauf, dass es nun nicht zu neuen unrealistischen Vorgaben kommt. Die Menschen in der Stadt brauchen ein Stück Sicherheit und müssen wissen, wo es hingeht.

Die könnten aber meinen, die Grünen würden sich dabei vom Sozialen verabschieden. Sie haben als Erste den Ausstieg aus der Anschlussförderung im sozialen Wohnungsbau gefordert. Ihre Fraktion spottet über PDS-Senatorin Knake-Werner, die Sozialausgaben gegen den teuren Flughafen verteidigte.

Bei der Anschlussförderung hätten wir in den nächsten zehn Jahren über 2 Milliarden Euro zahlen müssen. Das wäre letztlich der Verdienst der jeweiligen Grundstücksbesitzer gewesen und der Banken als Kreditgeber. Der Ausstieg trifft zwar auch Mieter. Aber er macht 2 Milliarden frei und ist ein Versuch, Spielräume für soziale Leistungen überhaupt zu erhalten.

Und beim Flughafen? Nach Kästchendenken müssten die Grünen doch die Ersten sein, die eher beim Flughafen als bei der Sozialhilfe streichen.

In dieser Stadt kommt man mit Kästchendenken nicht mehr weiter. Wir müssen uns da schon an den Realitäten orientieren. Berlin kann im sozialen Bereich nicht weiter sparen, indem Leistungen für einzelne Personen gekürzt werden. Unsere Sozialhilfesätze liegen jetzt schon unter denen von München, Hamburg oder Köln. Von daher ist die von Sarrazin geplante weitere Absenkung völlig absurd.

Umso mehr müssten Sie Knake-Werner beispringen.

Wir springen ihr auch bei. Wir kritisieren aber, wenn sie versucht, die Sozialhilfe gegen den Flughafen, ein für die Stadt notwendiges Projekt, auszuspielen.

Wieso?

Weil wir ganz klar sagen: Wir müssen beides sichern. Berlin hat eine Exportquote von 2.600 Euro pro Einwohner, noch nicht mal ein Fünftel der Quote von Hamburg. Das hat auch was mit Verkehrsanbindung – das betrifft Flughafen und Bahn – zu tun. Der Flughafen ist sowohl objektiv wie auch vom Symbol her wichtig für die Stadt, genauso wie das soziale Klima.

Ist das die Haltung der Haushälter, oder sehen das in der Fraktion alle 14 Mitglieder so?

Es gibt im Detail immer wieder Auseinandersetzungen, aber die Linie ist Konsens.

Dass Sie Flughafen und Sozialhilfe gleichstellen, hat dennoch überrascht.

Es war schon eine gewisse Provokation. Aber wir müssen unseren Wählern auch sagen, dass das Kästchendenken nicht mehr geht, dass diese Stadt es nicht ohne wirtschaftliche Belebung schafft. Der Flughafen ist dazu notwendige Rahmenbedingung.

Gab es Protestanrufe?

Es gab schon einige Mails. Die Anrufe hielten sich in Grenzen.

INTERVIEW: STEFAN ALBERTI