: Nicht nur Sache der Techniker
Deutsche Aktivisten für Basisdemokratie glauben, ein Referendum würde in Deutschland die Zustimmung zur EU nur verstärken. Keine Populismusgefahr
BERLIN taz ■ An Europa führt kein Weg vorbei – die Frage ist nur, wen man dabei mitnimmt. Die FDP-Fraktion erneuerte gestern ihre Forderung nach einer Volksabstimmung zur EU-Verfassung, weil sie sich davon einen Mobilisierungseffekt erhofft.
„Wir wollen die Verfassung ja“, erklärte die FDP-Abgeordnete Sabine Leutheusser-Schnarrenberger der taz. In Großbritannien werde Blair von den Euroskeptikern zum Referendum gezwungen – in Deutschland dagegen werde eine Abstimmung die bereits bestehende Zustimmung zum europäischen Einigungsprozess nur verstärken.
Die Zustimmung ist bisher bloß eher gefühlt als durchdacht, meint Schnarrenbergers Fraktionskollege Werner Hoyer. Die schwierigen Themen Europa und EU-Verfassung seien bislang eine „Sache der Techniker“. „Die Kollegen im Bundestag bleiben dabei alle mit angelegten Ohren in der Ackerfurche.“
Auch Gerald Häfner, der als Vorstandssprecher der Initiative „Mehr Demokratie“ seit einem Jahr für Referenden in den EU-Mitgliedsstaaten kämpft, sagte gestern: „Es war von Anfang an ein Strickfehler der EU, dass Europa ohne die Bürger betrieben worden ist.“ Die EU sei aus ökonomischen und strategischen Interessen heraus gegründet und ausgebaut worden, nun müsse „der Zug endlich aufs demokratische Gleis“. Im Übrigen rechne auch er damit, dass eine Mehrheit der deutschen Bevölkerung bei einem Referendum zustimmen werde.
Die überwältigende Mehrheit von SPD, Grünen und Union freilich will die EU-Verfassung auf keinen Fall zum Gegenstand einer Volksabstimmung machen. Als Grund nennt etwa der Grünen-Parteichef Reinhard Bütikofer die Furcht vor einem nationalistischen, euroskeptischen Populismus.
Der Verweis auf den schon lang gehegten rot-grünen Plan, ein Gesetz zu Volksabstimmungen und mehr plebiszitären Elementen vorzulegen, wirkt daher reichlich lahm. Hierfür die notwendige, verfassungsändernde Zweidrittelmehrheit in Bundestag und Bundesrat zusammenbekommen zu können ist noch unwahrscheinlicher, als dieselbe Mehrheit für eine Grundgesetzänderung zwecks EU-Referendum zu finden.
Ebenfalls als Ablenkungsstrategie dürfte auch der Wunsch etwa des CDU-Europaparlamentariers Elmar Brok nach einem europaweiten Referendum zu betrachten sein. Brok erklärte gestern: „Ein europaweites Referendum, das dann auch europaweit ausgezählt wird, wäre positiv. Das hieße, dass nicht ein einzelnes Land die Verfassung verhindern kann.“ Unsinn, sagte „Mehr Demokratie“-Sprecher Häfner dazu: „Brok weiß genau, dass das nicht geht.“ Wenn man wolle, dass die Menschen der EU-Verfassung zustimmen, könne man zunächst nur über die Nationalstaaten gehen.
Wie Volksnähe in der EU zur EU herzustellen ist, darüber sind sich etwa die Aktivisten vom globalisierungskritischen Netzwerk Attac nicht einig. Auch hier erklären viele, dass ein Bewusstsein für die demokratischen Defizite in Europa nur über eine Volksabstimmungskampagne zu erreichen ist. Attac-Europa-Spezialist Stefan Lindner vermutet dagegen: „Eine Volksabstimmungsdebatte würde die notwendige EU-Debatte totschlagen.“ Statt auf eine unwahrscheinliche Zweidrittelmehrheit im Bundestag hinzuarbeiten, solle man erst den Mangel an „Basiswissen“ über die EU in der Öffentlichkeit beheben.
Attac und verwandte Gruppierungen lehnen die EU-Verfassung ab, weil sie „das Europa der Konzerne und Generäle“ nur festige. Im Zentrum der Kritik steht das in der Verfassung festgeschriebene weit gefasste Mandat für EU-Militäreinsätze. Außerdem werde die Handelspolitik weiter entdemokratisiert, weil Nationalstaaten bei Handelsverträgen außen vor blieben.
Der Punkt bei der Debatte um die EU sei nicht, ob das Volk der EU-Verfassung zustimme oder nicht, sagt Lindner. Entscheidend sei vielmehr, dass mit oder ohne Verfassung auf europäischer Ebene Entscheidungen getroffen würden, die in den Einzelstaaten weder diskutiert noch bekannt gemacht würden. Dabei müsse man die Kritik auch wieder gegen die deutsche Regierung richten: In der Verteidigungs- und Wirtschaftspolitik „treibt Rot-Grün in Brüssel Dinge voran, die sie hier kaum durchsetzen könnten.“
ULRIKE WINKELMANN