Das vollautomatische Leben

Angelwürmer und Grabkerzen gibt es neuerdings per Knopfdruck, die deutsche Automatenwirtschaft boomt. Die Branche traf sich zur Hauptversammlung in Bremen

Bremen taz ■ Norbert Monßen hat eine Vision. Von einer Welt, in der auch der letzte deutsche Spätschichtler im nächtlichen Werk seinen Latte Macchiato schlürfen kann, einer Welt, in der „man isst, wo man ist“ und „der Verkäufer niemals pampig wird“. Weil er eine Maschine ist. Als Geschäftsführer des Bundesverband der deutschen Automatenwirtschaft berichtete Norbert Monßen gestern strahlend von einer boomenden Branche – denn die war in Bremen zu ihrer Jahreshauptversammlung zusammengekommen.

1,4 Milliarden Euro Umsatz haben die Cola-, Kaffee- und neuerdings sogar auch Kotelettkisten im vergangenen Jahr gebracht. Und das, obwohl in Großbetrieben dieser Tage viele Automaten abmontiert würden, weil die Fabriken geschlossen und die sonst so snackziehfreudigen Arbeiter entlassen worden seien, so Monßen. Dadurch, dass immer mehr Markenfirmen im Geschäft mitmischten, die Produktauswahl wachse und an Schulen und Behörden neue Märkte entstehen, werde der Ausfall aber aufgefangen.

Bisher gehöre Deutschland dennoch zu den Spätzündern der Automatenwirtschaft: „In Japan oder den Niederlanden ist man viel weiter“, sagt Monßen und begründet: „Die sind dort nicht so technikfeindlich und die Jugendlichen vandalieren weniger.“ An öffentlichen Plätzen traut sich hierzulande bisher kaum ein Unternehmer, seine Maschine aufzustellen. Aber auch innerhalb der Republik sind Automaten ungleichmäßig verbreitet. So seien italienische Kaffeespezialitäten in Bayern längst der Hit, im Norden allerdings bisher kaum angesagt. Dafür gibt es an der See Angelwurm- und im westfälischen Ahlen Grabkerzenautomaten.

Weil dem modernen Menschen „mit seinen verschobenen Verzehrgewohnheiten und hastigem Lebensstil“ der Rund-um-die-Uhr-Service so entgegenkomme, sagt Monßen der Branche eine blühende Zukunft voraus. Bloß der Frage, was mit den menschlichen Angelwurm- und Grabkerzenverkäufern werde, weicht er aus: „Als die Autos kamen, haben sich die Pferde ja auch nicht über Arbeitslosigkeit beschwert!“

Diese Antwort und Monßens Vision von der automatisierten Welt bringen allerdings weder den Kioskbesitzer am Bremer Bahnhof noch Karin Vladimirov von der Gewerkschaft Nahrung-Genuss-Gaststätten aus der Ruhe. Die Leute wollen persönliche Dienstleistungen, wollen umsorgt werden, sagen beide und sehen Automaten nicht als Konkurrenten. Horrorszenarien aus den 60er Jahren hätten sich ja auch nicht bewahrheitet.

Fast. Über damalige Karikaturen von Getränkeautomaten im Zug lacht heute schließlich keiner mehr. dorothea ahlemeyer