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Archiv-Artikel

Keine Sühne für Giftmord an Menschenrechtler

Indonesisches Gericht spricht ehemaligen stellvertretenden Geheimdienstchef vom Vorwurf des Mordes frei

BERLIN taz ■ Ein Gericht in Jakarta hat am Mittwoch einen früheren stellvertretenden Leiter des indonesischen Geheimdienstes BIN freigesprochen. Muchdi Purwoprandjono, der zuvor General in der Armee war, ist nach Überzeugung der drei Richter nicht der Auftraggeber des Mordes an dem Menschenrechtler Munir. Der führende Aktivist der Menschenrechtsorganisationen Kontras und Imparsial war im September 2004 auf dem Flug nach Amsterdam mit Arsen vergiftet worden.

Unmittelbar nach dem Freispruch demonstrierten rund 200 Anhänger Munirs vor dem Präsidentenpalast in Jakarta gegen den Freispruch. Indonesiens Staatspräsident Susilo Bambang Yudhoyono hatte eine Aufklärung des Falls versprochen. Munirs Witwe Suciwati äußerte sich enttäuscht über den Freispruch. Doch gab sie sich sicher, dass der Fall noch nicht beendet sei.

Die drei Richter begründeten ihr Urteil mit Mangel an Beweisen. Mehrere Belastungszeugen hatten ihre Aussagen zurückgezogen. Einige Geheimdienstmitarbeiter wollten sich an grundsätzliche Fakten wie ihren Dienstgrad nicht mehr erinnern. Vermutlich waren sie unter Druck gesetzt worden. Die Staatsanwaltschaft hatte Muchdi vorgeworfen, den Mord aus persönlicher Rache angeordnet zu haben. Der später mit dem Alternativen Nobelpreis ausgezeichnete Munir hatte aufgedeckt, dass General Muchdi unterstellte Soldaten 1997/98 Studentenaktivisten entführt hatten. Muchdi wurde darauf entlassen, jedoch nie vor Gericht gestellt.

Für den Mord an Munir war bereits der frühere Pilot Pollycarpus Priyanto zu 20 Jahren Gefängnis verurteilt worden. Er hatte Munir, der sich einen Namen bei der Aufarbeitung von Verbrechen des Militärs während der 1998 beendeten Suharto-Diktatur gemacht hatte, bei der Zwischenlandung in Singapur das tödliche Gift in ein Getränk gemischt. Pollycarpus war als Sicherheitsbeauftragter erst kurzfristig an Bord gekommen.

Weil er engen Kontakt zu BIN hatte, wurde schon früh eine Verwicklung des Geheimdienstes vermutet, zu dessen schärfsten Kritikern Munir zählte. Hohe BIN-Mitarbeiter weigerten sich, Vorladungen des Gerichts zu folgen. Es glich deshalb einer Sensation, als Muchdi in Untersuchungshaft kam. Doch Staatsanwaltschaft und Richter schauten zu sehr nach vermeintlich persönlichen und zu wenig nach institutionellen Motiven, sagt Alex Flor von Watch Indonesia zu taz. Die Berliner Organisation arbeitete eng mit Munir zusammen.

Laut Flor sei eine Beteiligung Muchdis am Mord zu vermuten, doch dürfte auch dessen damaliger Chef involviert gewesen sein. „Der Freispruch ermöglicht jetzt, das Verfahren noch einmal grundsätzlich neu aufzurollen und dabei BIN in den Mittelpunkt zu stellen“, so Flor. Doch dafür bedürfe es öffentlichen Drucks. Der Freispruch sei erwartbar gewesen, weil wichtige Aussagen zurückgezogen wurden. Die Urteilsverkündung an Silvester ließe vermuten, dass die Richter keine Aufmerksamkeit wollten. In Indonesien wurde bis heute kein hoher Militär für Menschenrechtsverbrechen verurteilt. SVEN HANSEN