: Hilf dir selbst, sonst hilft dir Bush
von KARIM EL-GAWHARY
Zu Beginn des nächsten Schuljahres wird in Syrien alles anders, zumindest was die Farbgebung betrifft. In zartblau und rosenrot wird der syrische Nachwuchs in die Schulen des Landes strömen. Die seit über 20 Jahren üblichen khakigrünen Militäruniformen mit den Schulterklappen, die den Klassengrad angeben, werden ebenso abgeschafft wie das paramilitärische Training an den Schulen. Offiziell gibt es für diesen Schritt keine Begründung. Hinter den Kulissen heißt es jedoch, das Regime des jungen Präsidenten Baschar al-Assad wünsche die syrische Gesellschaft zu entmilitarisieren.
Möglicherweise haben die Syrer die bevorstehende Farbenpracht ihren neuen khakifarbenen Nachbarn zu verdanken. Seit die US-Truppen den Irak „kontrollieren“ und in Washington US-Verteidigungsminister Rumsfeld & Co drohen, Syrien könnte als nächster Abschusskandidat auf der Liste stehen, steht das Regime in Damaskus unter Reformdruck. „Wenn sich dein Nachbar rasiert, fängst auch du an, dein Gesicht zu befeuchten“, lautet ein arabisches Sprichwort, das in Damaskus dieser Tage oft zu hören ist. Und dabei werden nicht nur kosmetische Reformen erwartet.
„Umzingelt von US-freundlichen Nachbarn in Israel, Irak und der Türkei, steht Syrien mit dem Rücken zur Wand“, beschreibt ein ausländischer Diplomat die prekäre Lage des Regimes. Außerdem hätten viele Syrer das Gefühl, sie seien wegen ihres Regimes von der Geschichte ausgeschlossen.
Auch wenn sich syrische Oppositionelle wie der Publizist Michel Kilo gegen jegliche US-amerikanische Einmischung wehren, so „sind Reformen nicht mehr ein Luxus, sondern durch die Ereignisse im Irak zum Rettungsanker geworden“. Kilo ist einer der Autoren eines offenen Briefes an Staatspräsident al-Assad, in dem die Abschaffung der Notstandsgesetze, die Freilassung politischer Gefangener und die Rückkehrmöglichkeit für im Exil lebende Oppositionelle gefordert wird. „Was im Irak geschieht, ist der Anfang eines amerikanischen Zeitalters, das mit Gewalt und Besatzung durchgesetzt werden soll und das es zu verhindern gilt.“ Nur eine freie syrische Gesellschaft könne sich dem entgegenstellen, heißt es weiter in dem Brief. „Interne Reform ist die beste Verteidigung, um jegliche US-Einmischung zu verhindern“, meint auch der syrische Verleger Hussein Udat, der jahrelang verschiedene Premierminister beraten hatte, bevor er zu einem der lautesten Befürworter von Reformen wurde.
Die Hoffnung unter den syrischen Intellektuellen war groß, als der junge, teils im Westen ausgebildete Baschar al-Assad vor drei Jahren von seinem verstorbenen Vater Hafis al-Assad das Präsidentenamt erbte, der für seine Politik der eisernen Faust gefürchtet war. Baschars Lieblingswort lautet „Reform“, und tatsächlich kam es zu einem kurzen politischen Frühling im Land, als syrische Intellektuelle erstmals von den Geheimdiensten unbehelligt in privaten Debattierclubs alle Arten von politischen und wirtschaftlichen Reformen diskutierten. Als deren Forderungen immer mutiger wurden und die Korruptionsvorwürfe immer lauter, bereitete die Regierung den Debattierclubs jedoch ein Ende. Zehn prominente Reformer wurden bis zu zehn Jahren Gefängnis verurteilt. Seitdem, so ein syrischer Oppositioneller, „ist das Land wie ein Dampfkochtopf, der uns um die Ohren zu fliegen droht und den die Regierung hier und da kurz aufdreht“.
Als im Frühjahr die Bilder von den gestürzten Saddam-Hussein-Statuen in Bagdad um die Welt gingen, schaltete das syrische Staatsfernsehen kurzerhand um und zeigte ein altes Fußballspiel. In einem Land, in dem noch hunderte von Assad-Statuen stehen und jedes größere Bauprojekt nach dem früheren Präsidenten benannt ist, wären diese Bilder für das Regime wie Selbstkritik erschienen, erklärt Kilo. Das Umschalten war eher ein Akt der Hilflosigkeit. Die meisten Syrer saßen ohnehin gebannt vor den Programmen privater arabischer Satellitenstationen wie al-Dschasira, die den Sturz des irakischen Regimes tagelang live begleitete.
Doch die Ereignisse im Nachbarland haben die syrischen Oppositionellen nicht nur angespornt. „Die Amerikaner haben unsere Träume von Reform und Demokratie gekidnappt“, sagt der syrische Filmemacher Samir Zikra verärgert. Die Leute blickten verwundert über die Grenze auf das dortige Chaos und fragten ihre Reformerpolitiker, ob das da drüben die Demokratie sei, von der sie immer gesprochen hätten. Das Regime gibt sich zumindest in der Öffentlichkeit gelassen. „Erst einmal abwarten, wie das im Irak weitergeht“, sagt ein hoher syrischer Regierungsbeamter, wohl auch in der Hoffnung, dass Washington mit zunehmendem Chaos im Irak jeglichen Appetit auf weitere Abenteuer im Nahen Osten verlieren wird. Syrien werde unbeeindruckt seinen langsamen Reformpfad weitergehen, sagt er. Immerhin sieben Minister seien keine Baathmitglieder, und der Geheimdienstapparat mische sich neuerdings nicht mehr in jede Personalentscheidung der Ministerien ein. Inzwischen wird in Regierungskreisen sogar offen darüber debattiert, ob der nächste Premierminister tatsächlich auch ein Baathparteibuch haben müsse.
Zumindest nach außen hin gibt sich das Regime trotz amerikanischer Drohungen selbstbewusst. Bahjat Suleiman, einer der mächtigen Geheimdienstchefs, die allgemein als die wahren Herrscher des Landes angesehen werden, veröffentlichte letzten Monat einen Artikel in der libanesischen Tageszeitung As-Safir. Der Tenor: Die USA brauchen Syrien als Stabilitätsfaktor im Libanon und im Irak. Ein syrischer Intellektueller, der nicht genannt werden mochte, wirkt wenig überzeugt. „Wer nachts im Dunkeln Angst hat“, sagt er lakonisch, „der fängt an zu singen.“
Das größte Kapital der Regierung gegenüber ihrem Volk ist die Außenpolitik. Eine konsequente Haltung gegenüber Israel, die Unterstützung der palästinensischen Intifada und die Antikriegshaltung im Falle Iraks dienten als Brücke zwischen der Regierung und den Menschen, führt Verleger Udat aus. Aber genau da, fürchten viele, wird die Regierung Assad nachgeben. Die einzige Chance des Regimes, sich ohne machtbedrohende interne Reformen über die Zeit zu retten, ist, in der Außenpolitik alles zu tun, was Washington wünscht.
Die Büros radikaler palästinensischer Gruppen in Damaskus wurden bereits „freiwillig“ geschlossen, und so mancher erwartet, dass Damaskus auch die radikale Schiitenorganisation Hisbullah im benachbarten Libanon im Zaum halten wird. „Die Regierung kann jetzt nur noch eine Außenpolitik gemäß einer von den USA abgesteckten Linie fahren, meint dazu der Publizist Kilo. Die Folge, so glaubt er, sei „eine echte Legitimationskrise des Regimes“. Die arabisch-nationalistischen Töne müssen in Zukunft verschluckt werden. „Man kann nicht von einem hohen Berg schreien, ohne Boden unter den Füßen zu haben“, meint Kilo.
Unterdessen diskutieren die syrischen Intellektuellen darüber, ob ihr nach außen modern wirkender Präsident nicht reformieren will oder nicht reformieren kann. Die zweite Denkschule bezeichnet ihn als „politischen Gefangenen im eigenen Land“, kontrolliert von der alten Geheimdienstgarde. Er sollte endlich die Macht der Sicherheitsapparate beschneiden, die Baathpartei von der Regierung trennen und die weit verbreitete Staatskorruption in den Griff kriegen, sagt Verleger Udat und fügt hinzu, es reiche in diesen Zeiten einfach nicht mehr aus, wie bisher üblich mit der Bemerkung „wir werden sehen“ für die Zukunft irgendwelche vagen Reformen in Aussicht zu stellen. Eines ist für den Reformer Kilo jedenfalls sicher: „Mit neuen Farben für die Schulhemden ist es nicht getan.“
Der Autor diskutiert in der nächsten Woche mit Kollegen auf zwei Podiumsveranstaltungen zum Thema Kriegsberichterstattung aus dem Irak: in München am 16. Juni, 19.30 Uhr im Goethe-Forum, Dachauer Straße 122; in Berlin am 17. Juni, 19.00 Uhr im Studiofoyer der Akademie der Künste, Hanseatenweg 10