: Vom Wirrwarr zum Weltmarkt
Renate Künast kämpft für die Agrarwende, tapfer und erfolglos. Eine grüne deutsche Landwirtschaftspolitik hat in der EU nur eine Chance, wenn auch der Kanzler sie stützt
Es geht um 40 Milliarden Euro Steuergelder jährlich, die Hälfte des EU-Haushalts, wenn heute die Agrarminister der Europäischen Union beim großen Showdown in Luxemburg verhandeln. Nebenbei geht es auch noch um die Einkommen von ein paar Millionen Bauern und das Essen von ein paar hundert Millionen Verbrauchern. Soll weiterhin vor allem nach Produktionsmenge bezuschusst werden, oder sollen vermehrt Kriterien wie Naturschutz oder Arbeitsplätze einfließen, das ist hier die zentrale Frage. Doch nachhaltige Reformen sind kaum zu erwarten, da sich das Agrobusiness bisher erfolgreich gegen jede wirksame Veränderung wehrt.
Wie bei solch riesigen Steuertrögen nicht anders zu erwarten, hat sich in der EU über die Jahrzehnte ein enormer Wirrwarr an Prämien und Subventionen, an Garantiepreisen, „Säulen“, Zöllen und Kontingenten herausgebildet. Dieser Wirrwarr verhindert bequemerweise eine breite öffentliche Diskussion einzelner Maßnahmen. Daher können die Wähler die Agrarminister samt ihren Regierungen auch nicht wegen deren unverantwortlicher Politik zur Rechenschaft ziehen. So fördert die EU jedes Jahr mit vielen Milliarden eine in jede Richtung negative Entwicklung. Vor allem vernichtet sie Arbeitsplätze, indem sie Großbetriebe weit mehr subventioniert als die kleinen Bauernhöfe.
Eigentlich waren seit der BSE-Krise 1999 die SPD und vor allem die Grünen angetreten, um eine Wende in der Agrarpolitik zu erreichen. Bundeskanzler Schröder wollte sogar die „Agrarfabriken“ verschwinden sehen, und seine neue grüne Verbraucherministerin Renate Künast wirkte auf die erschrockenen Bauernverbandsfunktionäre wie die Jeanne d’Arc der Schlachthöfe. Doch nach ein paar schnellen Achtungserfolgen kehrte Realismus ein. Gegen die Phalanx der EU-Agrarländer, allen voran Spanien, Frankreich und die eigenen Landwirtsfunktionäre in Ost und West, kann auch eine mehr als bauernschlaue Künast zu wenig ausrichten. Sie ist zwar die beste Landwirtschaftsministerin, die deutsche Verbraucher je hatten. Aber die Subventionen in sinnvollere Bahnen zu lenken ist selbst ihr in viel zu geringem Maße gelungen.
Das liegt nicht zuletzt am mangelnden Rückhalt beim Kanzler. Der hat – immer schon, aber derzeit mehr denn je – andere Probleme als die Lebensmittelversorgung und den Naturschutz. Wenn er sich damit beschäftigt, will er vor allem höhere Ausgaben für die Bauern verhindern. Wo die vielen Milliarden hingehen, scheint ihm egal zu sein, wenn es hart auf hart geht. Die Subventionen dienen als Schweigegeld für die Landbevölkerung, damit die all die EU-Vorschriften und Liberalisierungen mitmacht.
Jeder Deutsche zahlt netto laut Statistik etwa 53 Euro pro Jahr an Agrarsubventionen allein nach Brüssel – das ist die Differenz zwischen Überwiesenem und dem Rückfluss an die eigenen Bauern. Die tatsächlichen Aufwendungen für den Steuerzahler sind natürlich weit höher und angesichts diverser nationaler Programme und versteckter Kosten schwer zu berechnen. Das EU-Geld jedenfalls geht unterm Strich ausgerechnet an den wichtigsten Freund und Partner, Frankreich. Deshalb hört für die französische Regierung gleich jeder Couleur die Freundschaft auf, sobald irgend etwas an den Agrarsubventionen gekürzt werden soll.
Das haben auch die zwei jüngsten Treffen der beiden Staatschefs Schröder und Chirac, eines vergangenen Oktober und eines Anfang dieser Woche, gezeigt: Bis 2006 bleibt alles mehr oder weniger so, wie es ist. Schröder konnte lediglich heraushandeln, dass die Gesamtsumme bis 2013 jährlich nur um ein Prozent steigt. Aber mehr hätte wohl auch der französische Finanzminister schon von sich aus nicht zugelassen.
Überhaupt bleiben die derzeit wichtigsten Verbündeten gegen unsinnige Großprojekte und Subventionsmilliarden die europäischen Finanzminister. Es sitzen ja überall in der Union kleine Hans Eichels und starren auf ihre wachsenden Defizite. Ihr Spardrang bedroht erstmals ernsthaft die Pfründen der Agrarlobby. Weil gleichzeitig bei denVerhandlungen bei der Welthandelsorganisation WTO ebenfalls eine Änderung des EU-Agrarsystems gefordert wird, wird sich nun in Luxemburg etwas tun, wenn auch die Grundlagen des Systems zu wenig und zu langsam verschoben werden.
Leider ist der Druck der Finanzminister bisher schwach und geht nur in Richtung niedrigerer Subventionen. Es wäre jedoch eine ganzheitliche Sichtweise vonnöten, da sonst die Kultur und die Natur im ländlichen Raum verarmen. Investitionen in eine regional verankerte Landwirtschaft sind rentabler als die klassische Subventionspolitik und schaffen neue Arbeitsplätze. Sie können eine Dynamik entfalten, von der etwa ein Transrapid noch nicht einmal träumen kann. Doch für den ersten Minitransrapid fuhr das halbe Kabinett werbewirksam nach Schanghai; undenkbar für eine Biogasanlage oder ein Musterökodorf. Glückliche Landbewohner verbreiten eben nicht den nötigen Glanz abends in der Tagesschau.
So droht die Zeit zum entscheidenden Faktor zu werden. Weil die EU-Regierungen in ihrer Mehrheit möglichst wenig und möglichst langsam umsteuern wollen, werden nicht nur massiv die Steuerzahler geschädigt, sondern vor allem die, um die es scheinbar bei der ganzen Maschinerie geht – die Bauern. Denn der Bauernverband und seine Schwesterorganisationen sind nicht einfach nur Subventionsjunkies. Sie drängen mit Hilfe der Subventionen auch lästige Konkurrenz aus dem Markt. Wenn seit Jahrzehnten die Höfe mit großer Produktion auch die hohen Summen aus Brüssel kassieren, verschafft der Staat den Intensivbetrieben einen Wettbewerbsvorteil. Wer die Landschaft nebenbei mit pflegt, bekommt dafür nichts, der kreative Regionalvermarkter kriegt nichts, wer viele Leute beschäftigt, kriegt genauso wenig.
Noch ein paar Jahre so weiter, und vom viel beschworenen Bauernstand bleibt nichts übrig als Agrarfabrikanten, ob nun bio oder konventionell. Die können es mit den Farmern in den USA und vielleicht sogar Australien aufnehmen. Dann dürfen auch gern im Rahmen der WTO-Handelsverträge weltweit die Agrarsubventionen gesenkt werden. Die verbleibenden EU-Großagrarier wären gerüstet. Es ist eine Logik, bei der ein Großteil der Landesflächen ähnlich Straßen oder Gewerbegebiete als Infrastruktur behandelt wird: Wenn die Gesellschaft schöne Landschaft will, muss der Staat eben extra dafür bezahlen. Auch wenn das ein Vielfaches teurer wäre als eine sinnvolle Landwirtschaftspolitik.
Die Chancen für eine Art letzten Notstopp vor dem Exitus der Landschaft und Kultur prägenden bäuerlichen Betriebe sind gering. Denn für die Wähler ist der Agrarsektor längst nicht so wichtig, dass sie es zu einem wahlentscheidenden Thema machten. Nur wenn das der Fall wäre, würde Schröder Ärger mit den Partnerländern riskieren.
REINER METZGER