theater
: Wenn Dienstmädchen Tacheles reden

Die Magd Zerline weiß über alles Bescheid: Die Tochter der Baronin zum Beispiel ist ein Bastard, kein Produkt des ehelichen Schlafzimmers. Sowas weiß man, wenn man nachts an Türen horcht und nie ein Knacksen hört. Überhaupt ist es zu ruhig im Haus, findet Zerline. Wenn man durch selbst gebohrte Deckenlöcher blickt, erkennt man, dass im Salon der Gnädigen nicht viel passiert, ein echtes Leben führt sie nicht, die „leere Wasserpute“. Alles, was sie absondert, ist „Seelenlärm“ – blutarmes Gefühlsgeplänkel ohne Substanz. Da hat Zerline mehr erlebt: Der Baronin hat sie damals den Lover ausgespannt, ganz insgeheim. Wichtige Briefe hat sie unterschlagen. Hat Schicksal gespielt, so dass es nicht auffiel, und ihr eigenes Schicksal in die Hand genommen – soweit sie es aus ihrer Jobfalle heraus konnte.

Die Magd Zerline ist eine Figur des Wiener Autors Hermann Broch, der 1938 vor den Nazis nach Amerika emigrierte. Vor seiner Schriftstellerkarriere war Broch Textilfabrikant und im österreichischen Industriellenverband als Schlichter zwischen Arbeitgebern und Arbeitnehmern tätig – daher sein genauer Blick auf ökonomische Abhängigkeiten und ihre psychischen Folgen. In Zerlines Lebensbeichte verbindet sich der Zwang zur Lohnarbeit mit den Zwängen der bürgerlichen Konvention – einer Konvention der Stille, die nichts laut werden lässt außer eben „Seelenlärm“, dabei aber immer im äußerlich korrekten Bild verharrt.

Regisseur Kay Link sieht den Zerline-Monolog als Geschichte einer willensstarken Frau, die eigenständig leben will, es aber durch äußeren Druck nicht kann. Zerline (exzellent: Susanne Flury) redet Tacheles, philosophiert im Scheinwerferlicht – doch der Abend kommt etwas schwer in Gang. Erst als die belastenden Briefe zum Vorschein kommen, die Zerline unter den roten Bühnenteppich gekehrt hatte, wird es wirklich interessant. Trotzdem: Dieser poetische Report einer Magd ist hochaktuell in einer Dienstleistungsgesellschaft, in der die Angst vor Arbeitslosigkeit und sozialem Abstieg ein freies Leben unmöglich macht und alle still sind oder nur noch durch die Blume reden. HOLGER MÖHLMANN

„Die Erzählung der Magd Zerline“: Freies Werkstatt Theater, Köln, Zugweg 10, Tel. 0221/32 78 17, nächste Vorstellungen heute und am 27. und 29. April, jeweils 20 Uhr