„Ich habe schon Pferde kotzen sehen“

Günter Rexrodt (62) mag nicht mehr FDP-Landeschef sein. Als Bundesschatzmeister und im Bundestag bleibt er den Liberalen dagegen erhalten. Für die Abgeordnetenhauswahl im Jahr 2006 will er für seine Partei lieber keine Koalitionsaussage abgeben. Aber mitregieren sollte sie schon

INTERVIEW STEFAN ALBERTI

taz: Herr Rexrodt, ein Radiosender hat Sie kürzlich gefragt, wie viele Nullen eine Billion hat. Neun, haben Sie gesagt. Tatsächlich sind es zwölf. Sollten Sie da nicht lieber als FDP-Bundesschatzmeister aufhören statt als Landeschef?

Günter Rexrodt: Wenn sich die Qualität in einer bestimmten Parteiposition in Nullen messen lassen müsste, wäre ich in der Tat fehl am Platze. Da es aber auf andere Qualitäten ankommt, bin ich dort ganz gut aufgehoben.

Auf Bundesebene wollen Sie weitermachen und über 2006 hinaus im Bundestag bleiben. Können Sie nicht ohne? Ende der nächsten Legislaturperiode wären Sie fast 70.

Ich habe gerade in der taz gelesen, dass es unverantwortlich sei, so viele Menschen im reiferen Alter mit viel Erfahrung und Kraft in den Ruhestand zu schicken. Das Lebensalter an sich ist kein Kriterium. Es kommt vielmehr darauf an, ob man in der Wirtschaft, in der Redaktion der taz oder eben in der FDP einen Beitrag leisten kann. Und da glaube ich wohl, das zu können. Ganz abgesehen davon, dass über Kandidaturen erst in anderthalb, zwei Jahren befunden wird.

Ihr designierter Nachfolger als Landeschef, Markus Löning, sieht das anders. Er hat doch schon Listenplatz 1 der FDP für 2006 beansprucht.

Ich kenne von Herrn Löning und von mir nur eine verbindliche Aussage. Und die lautet: Über die verbindliche Aufstellung der Landesliste wird befunden, wenn es so weit ist.

Wenn alles keine Altersfrage ist, dann könnten Sie auch Landesvorsitzender bleiben.

Das könnte ich allemal. Ich glaube aber, dass mit Blick auf die Abgeordnetenhauswahl im Jahre 2006 jemand Gelegenheit haben muss, sich zu profilieren. Ich aber bin Bundespolitiker und kann diese Position nicht wahrnehmen. Vor diesem Hintergrund ist es nur vernünftig und hilfreich, dass jetzt ein Wechsel stattfindet.

Aber Löning ist doch genau wie Sie Bundestagsabgeordneter. Nach Ihrer Logik müsste der Fraktionschef im Abgeordnetenhaus, Martin Lindner, an die Spitze der Berliner FDP.

Über die Qualität als Landesvorsitzender muss der Parteitag befinden. Ich kann nur sagen, dass ich Markus Löning als Landespolitiker mit einem guten Gespür für die Partei und für politische Themen erlebt habe.

Welche Rolle spielt bei Ihrem Abgang, dass vor allem Ihr Parteifreund Peter Landauer Ihnen wiederholt vorgeworfen hat, Amt und privatwirtschaftliche Interessen zu vermengen? Können Sie das nicht mehr hören?

Sie unterstellen, dass ich die Nase voll habe. Das ist doch gar nicht der Fall. Was ich an Herrn Landauer zu kritisieren habe, ist, dass er immer den Effekt gesucht hat, mich vorzuführen. Sachlich hätte er direkt jede Erklärung haben können.

Sie haben wiederholt gesagt: Ich mache keine Lobbyarbeit. Was anderes aber war Ihr Vorstandsjob bei der Beratungsfirma WMP Eurocom?

Erstens: Es gibt kein Berufsverbot für Politiker. Zweitens: Damit es keine Interessenkollision gibt, gibt es Verhaltensregeln des Deutschen Bundestags, und die habe ich minutiös eingehalten. Nicht anderes wird verlangt. Ich war Finanzvorstand der WMP und nicht in die operative Arbeit einbezogen. Ganz nebenbei bin ich seit dem 1. April nicht mehr in der Firma.

Fraktionschef Lindner bringt die FDP zwar wiederholt in die Schlagzeilen, aber meistens über polterige Zitate wie „Puddingsenator“ über den PDS-Mann Flierl. Reicht das aus?

Nein, aber das ist ja nun auch nicht das, was für Herrn Lindner typisch ist. Typisch für ihn ist, dass er die Politik in der Analyse und der Therapie so aufbereitet, dass er Gehör findet. Ich finde, er wird seiner Aufgabe sehr gut gerecht.

Er hat auch gegen Sie ausgeteilt: Eine Äußerung von Ihnen zu Taxigebühren nannte er „ein wenig lebensfremd“.

Wenn die Differenzen zwischen dem Fraktionsvorsitzenden und dem Landesvorsitzenden sich darauf beschränken, die Taxipreisfrage unterschiedlich zu bewerten, muss es um die FDP in Berlin eigentlich gut bestellt sein.

Es fällt trotzdem auf. Denn bei der CDU etwa sieht der Fraktionsvorsitzende beim Parteichef nichts Lebensfremdes.

Einen Keil zwischen Herrn Lindner und mir darin zu finden, dass wir unterschiedliche Auffassungen über Taxipreise haben – da müssen Sie sich sehr anstrengen.

Laut Lindner will die FDP 2006 mitregieren. Mit wem denn? Bei der CDU macht sich keiner Hoffnungen, dass es 2006 für Schwarz-Gelb reicht. Das ist doch nur eine Luftblase.

Das sehe ich nicht so. Es ist doch das Natürlichste in der Welt, wenn eine politische Partei das Ziel proklamiert, nach den nächsten Wahlen mitgestalten zu können.

Wer außer der CDU soll denn in Frage kommen?

Erst spricht der Wähler, dann sprechen wir über Koalitionen. Ich habe schon Pferde kotzen sehen.

Sie meinen eine Neuauflage der 2001 gescheiterten Ampelkoalitionsverhandlungen?

Sie müssen es ja versuchen, aber ich kann nur wiederholen: Erst spricht der Wähler …

Sie treten ab, Strieder und Gysi sind zurückgetreten, Wieland geht nach Brandenburg. Vom charismatischen Personal des Wahlkampfjahrs 2001 bleibt nur Wowereit. Wird Berliner Politik provinziell?

Warum sagen Sie „wird“? Berliner Politik ist provinziell.

Das müssen Sie mal ein bisschen begründen.

Unter Rot-Rot hat sich fortgesetzt, was sich schon in der großen Koalition gezeigt hat: Es ist bisher nicht gelungen, in Berlin eine optimistische Grundhaltung entstehen zu lassen, eine Vision zu vermitteln, die besten Köpfe in die Stadt zu bringen. Da weist nichts über den Tag hinaus.

Es wäre doch angesichts der katastrophalen Finanzlage des Landes fatal, den Leuten etwas zu versprechen, was gar nicht zu bezahlen ist.

Man muss den Leuten ja nichts versprechen, was man nicht halten kann. Aber man muss ihnen eine Idee vermitteln.

Sie fordern, die Bürger müssten mehr die Initiative ergreifen. Das klingt so, als würden wir Sie bald Schulter an Schulter mit Peter Grottian marschieren sehen.

Was wir wollen, ist eine Bürgergesellschaft, und dazu legen wir beim Parteitag die Programmschrift „Berliner Freiheit – Ideen für eine Bürgergesellschaft“ vor. Damit stellen wir dem staatswirtschaftlich orientierten Stil im Osten wie im Westen Berlins eine Alternative gegenüber.

Das ist doch nicht neu. Mit der Idee der Bürgergesellschaft ist schon 2002 bei der CDU der spätere Landeschef Christoph Stölzl durch Berlin getourt.

Der denkt das so, aber nicht die Berliner CDU.

Von bürgerschaftlichem Engagement spricht selbst PDS-Chef Stefan Liebich.

Das mag er sagen und vielleicht sogar wirklich meinen. Aber die Parteien leben das doch nicht – keine CDU, keine SPD und schon gar keine PDS. Die hat ihre Tradition in Gleichmacherei und Nivellierung. Wenn eine Partei die Bürgergesellschaft nach vorn drücken kann, dann die FDP.