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Archiv-Artikel

Die weiße Kritikerin der Apartheid

Jahrzehntelang war Helen Suzman eine einsame Ruferin in der südafrikanischen Wüste. Von 1952 bis 1989 saß sie in Südafrikas Apartheidparlament, beständigste Kritikerin des brutalsten Rassentrennungssystems der Welt. Manche belächelten sie als eine Art Hofnärrin in einem totalitären System. Aber die meisten verehrten sie als mutige Politikerin, die als Einzige dem System von innen die Stirn bot.

Geboren wurde Helen Suzman im südafrikanischen Germiston am Tag der russischen Oktoberrevolution, dem 7. November 1917, als Tochter der jüdischen Einwandererfamilie Gavronsky aus Litauen. Die gelernte Wirtschaftshistorikerin ging 1953 für den Wahlkreis Houghton ins Parlament, als Abgeordnete der liberalen United Party (UP). Diese kritisierte die 1948 von der burischen Regierung eingeführte Apartheid als zu weitgehend, lehnte sie aber nicht grundsätzlich ab. Schon am Anfang widersetzte sich Suzman der Parteilinie, als sie 1953 gegen die Einführung getrennter öffentlicher Einrichtungen für Schwarz und Weiß stimmte. Als 1959 die UP auch die Zwangsumsiedlung Schwarzer in sogenannte Homelands billigte, trat der progressive Flügel mit Suzman aus und gründete die Progressive Party (PP). Bei den nächsten Wahlen 1961 war Suzman die einzige PP-Abgeordnete, die ihren Sitz behielt. Finanziell gefördert von Südafrikas Diamantenindustrie, entwickelte sich die PP allmählich wieder zur stärksten legalen Opposition im Apartheidstaat. Für die Machthaber wurde Suzman zur Hassfigur – zum Beispiel, als sie bei einem Gesetz zur Einführung von 90 Tagen Haft ohne Anklage eine namentliche Abstimmung verlangte und als Einzige mit Nein stimmte.

1989 war das Apartheidsystem am Ende. Der friedliche Wandel, der 1990 mit der Haftentlassung von ANC-Führer Nelson Mandela begann und 1994 mit Südafrikas ersten freien Wahlen vollendet wurde, stand kurz bevor. Suzmans Lebenstraum war erfüllt – sie gab ihr Parlamentsmandat auf. Ihren Wahlkreis erbte der spätere liberale Oppositionsführer Tony Leon. Schon damals wurde die 72-jährige Suzman als „lebender Mythos“ gefeiert. Sie hielt sich später nicht immer zurück. An Präsident Thabo Mbeki übte sie heftige Kritik.

Helen Suzman vertrat eine Generation furchtloser Radikalität, für die Südafrika heute nicht mehr wirklich Platz hat. Je mehr Südafrikas nachwachsende Generation die reale Erinnerung an die Apartheid durch eine plumpe neue gedankliche Rassentrennung in Unterdrücker und Unterdrückte ersetzt, desto weniger nachvollziehbar erscheinen die kritischen weißen Stimmen von früher. Mit Helen Suzman ist nun die größte von ihnen gegangen. DOMINIC JOHNSON