Eine Partei auf Reisen

Joschka Fischer blickt gequält auf seine Grünen, die noch nicht darauf vorbereitet sind, ihren Patriarchen zu beerben

Fischer wird zwei Tage in Cottbus sein. Und reden. Sagenhafte zwanzig Minuten lang

von JENS KÖNIG

Joschka Fischer telefoniert wieder.

Ja, an solchen Lappalien hängt in der Hauptstadt manchmal die Zukunft einer ganzen Koalition. Der große grüne Herr und Meister ruft, während er in Brüssel oder Paris Weltpolitik macht, in diesen Tagen wieder öfter seine Parteifreunde an und erkundigt sich, wie sie die Zukunft der rot-grünen Regierung in Nordrhein-Westfalen beurteilen oder welche Folgen sie bei einer drohenden Erhöhung des Rentenbeitragssatzes befürchten. Wenn Fischers Vertraute in der grünen Partei von dieser seismografischen Veränderung erzählen, gehen sie davon aus, dass ihr Gegenüber die Tragweite dieses Vorgangs auch ohne eine grüne Spezialausbildung zu deuten versteht. Fischer hält wieder engen Kontakt zu seiner Partei – das heißt, dass er es in den vergangenen Monaten ganz offensichtlich nicht getan hat. Das heißt auch, dass er sich jetzt wieder mehr um die Innenpolitik kümmert. Das heißt aber vor allem, dass Fischer es für nötig hält, sich einzumischen, weil es seiner Partei doch nicht ganz so gut geht.

Dabei könnten die Grünen eigentlich zufrieden sein. In den Umfragen fahren sie traumhaft gute Werte um die zehn Prozent ein. Die schlechte Arbeit der Regierung wird fast ausschließlich der SPD angelastet. Und die Debatte über die Agenda 2010 lief bei den Grünen konzentrierter und weniger identitätsaufgeladen als bei den Sozialdemokraten. Der Parteitag am Wochenende in Cottbus wird das sozialpolitische Reformprogramm mit einer soliden Mehrheit verabschieden. In dieser Situation können es die Grünen offenbar mühelos verkraften, dass ihre Parteivorsitzende Angelika Beer ein Totalausfall ist. Bereits ein halbes Jahr nach ihrer Wahl gilt sie intern bei den maßgeblichen Führungsleuten als erledigt. Ihr Co-Vorsitzender Reinhard Bütikofer verblüfft dafür alle um so mehr. Er führt die Partei ruhig, konsensorientiert, unangefochten.

Und Bütikofer weiß um den labilen Zustand der Grünen. Am deutlichsten ist das an einem scheinbar nebensächlichen Hinweis abzulesen, den er den Journalisten in dieser Woche gegeben hat. Joschka Fischer, der Vielbeschäftigte, wird das ganze Wochenende in Cottbus auf dem Parteitag sein, hat Bütikofer da gesagt. Er wird sogar reden. Sagenhafte zwanzig Minuten lang.

Fischer, immer wieder Fischer. An ihm hängen die Grünen samt ihrem Schicksal. Jetzt, wo er im Begriff ist, Brüssel zu erobern und die Partei hinter sich zu lassen, erst recht.

Seit Gerhard Schröder Joschka Fischer vor vier Wochen zur „glänzenden Besetzung“ für das Amt des europäischen Außenministers erklärt hat, debattieren die Grünen wie elektrisiert über Fischers Nachfolge. Das fesselt sie mehr als die Agenda 2010. Die Sprengkraft dieses Themas hat Fischer am Anfang unterschätzt. Er sah in Schröders Kandidatenkür zunächst nur das persönliche Lob und das außenpolitische Kalkül. Zu Fischers geheimen Karriereplänen passten die großen Worte des Kanzlers natürlich nur zu gut. Und Fischer hielt es für richtig, dass Schröder das deutsche Interesse an einem Spitzenposten in Europa anmeldete. Was der Außenminister in seinem Karriereeifer übersah, war die innenpolitische Dimension des Vorgangs.

Die rot-grüne Koalition ab 2004 ohne Joschka Fischer? Diese Vorstellung fiele schon in guten Zeiten schwer, und in schlechten wie diesen scheint sie ganz und gar unmöglich. Schröder hat mit seinem Fischer-Lob das deutlichste Zeichen für den Niedergang seiner Regierung gesetzt, mehr als es die Konzeptionslosigkeit seines Finanzministers oder eine rot-grüne Krise in Nordrhein-Westfalen je könnten. Nicht zufällig setzte parallel zur Spekulation um Fischers Nachfolge das Geraune über eine große Koalition in Berlin ein.

Natürlich gefällt einem Narziss wie Fischer die Vorstellung, unersetzlich zu sein. Aber gleichzeitig quält sie ihn. Deswegen mischt Fischer sich bei den Grünen wieder mehr ein. Er blickt plötzlich auf eine grüne Partei, die nicht darauf vorbereitet ist, ihren Patriarchen zu beerben. Da ist das Gerangel um Fischers Nachfolge als Außenminister (oder die Übernahme eines anderen Ministerpostens) noch das geringste Problem. Natürlich belastet es die Partei, wenn die drei aussichtsreichsten Kandidaten – Fritz Kuhn, Renate Künast und Jürgen Trittin – sich seit Wochen nur noch misstrauisch belauern. Vorstellbar ist trotzdem, dass sich nach Fischer eine Art kollektive Führung etabliert, die sich nicht in Nachfolgekämpfen selbst zerfleischt.

Hinter Fischer, und das ist viel gravierender, wird aber eine Partei sichtbar, der neue Themen und Projekte fehlen. Wofür stehen die Grünen, wenn sie nicht mehr allein für Ökologie stehen? Wie kann die radikale, liberale Spar- und Reformpolitik einer Katrin Göring-Eckardt, der Fraktionschefin, verbunden werden mit der Sozialstaatsrhetorik eines Jürgen Trittin? Und wie passt Deregulierung mit sozialer Gerechtigkeit zusammen?

Die Beantwortung dieser Fragen ist dringlich. Aber sie wird noch eine Weile auf sich warten lassen. Noch ist Fischer nicht in Brüssel. Er ist ein Reisender, der nicht mehr ganz da, aber auch noch nicht richtig weg ist. Deswegen ist auch die Partei auf Reisen.