: Heucheln für Anfänger
Wollen auch Sie einen politischen Weggefährten zu Grabe tragen, wissen aber nicht recht, was Sie über ihn sagen sollen, weil Ihr Verhältnis – höflich gesagt – zwiespältig war? Wollen auch Sie ihr Mitgefühl vor laufenden Kameras ausdrücken, obwohl Sie jahrelang den Verstorbenen mit allen Mitteln bekämpft haben und nun froh sind, dass er aus dem Weg ist? Wollen auch Sie seine Leistungen und Tugenden loben, damit ein wenig des imaginären Glanzes auf Sie selbst ausstrahlt? Dann greifen Sie einfach auf die hier gesammelten Erfahrungen professionell heuchelnder Politiker zurück.
1. Seien Sie betroffen.
Betroffenheit macht sich immer gut, auch wenn niemand so genau zu wissen scheint, was das eigentlich ist. Betroffen, das bedeutet: Mein Leben wird beeinträchtigt, tangiert von dem, was geschehen ist – was ja bestenfalls für die Familie und die Freunde des Verstorbenen gilt. Nicht jedoch für SPD-Bundesbildungsministerin Edelgard Bulmahn: „Ich bin tief betroffen über den tragischen Tod von Möllemann.“ Egal: Seien Sie betroffen, auch wenn Sie der Tod des Politikers nicht betrifft. Vielleicht sprechen Sie damit ja sogar unbewusst die Wahrheit aus, wie Dr. Guido Westerwelle und Dr. Wolfgang Gerhardt: „Sein Tod macht uns betroffen.“ Man darf annehmen, dass diese beiden vom Tode Ihres Parteifreundes tatsächlich betroffen sind. Insofern nämlich, als sie sich künftig nicht mehr über ihn ärgern müssen.
2. Schließen Sie die Angehörigen in Ihre Trauer ein.
Erst das eigene Leid, dann das Beileid, möglichst noch im selben Satz betonen, denn bei den Angehörigen und der Familie ist der Schmerz selbstverständlich am größten. Klaus Kinkel hat diese Aufgabe bravourös gelöst: „Das ist wirklich traurig und ganz schlimm – vor allem auch für die Familie.“ Kondolieren Sie erst recht und um so gewundener, wenn Sie keinerlei Beziehungen zu genanntem Personenkreis haben. Das zeigt: Sie wissen, was Takt ist. Standardformulierungen existieren zuhauf. Beispielsweise: „Ich wünsche Ihnen ganz viel Kraft und Beistand.“ (Freya Barschel) Hier gilt im Übrigen, was auch für Zeugnisse gilt: Angemessen dick auftragen, wenn es sein muss, auch mit „tiefstem Mitgefühl“ (Möllemann-Freundeskreis Hückelhoven), und ein bisschen stärker als es die Bundes-FDP getan hat: „Wir denken in diesen Tagen an seine Familie, der wir unsere Anteilnahme aussprechen und der wir Kraft wünschen.“ Achtung: Haben Sie keine Ahnung, in welcher Beziehung der Verstorbene zu wem auch immer vor seinem Tod stand, drohen unangenehme Fettnäpfchen. Lassen Sie die Beileidsklausel einfach weg.
3. Loben Sie maßvoll.
Es ist nicht leicht, über die Schwächen eines Verstorbenen reden zu müssen, aber zur Mediendemokratie gehört leider auch das. Sie können sich jedoch behelfen, indem Sie auf die Frage nach den Fehlern Ihres Parteifreundes mit der Standardformel aller Politiker antworten: „Sein größter Fehler war seine Ungeduld.“ (Hans-Dietrich Genscher schon 1997) Genauso schwierig ist es allerdings, die Stärken des Verstorbenen hervorzuheben. Schnell könnte ihr Lob einen falschen Zungenschlag bekommen, übertrieben oder pathetisch klingen. Retten Sie sich in diesem Fall in die Rabatten der Allgemeintugenden. Was zeichnet beinahe jeden Menschen in der Auseinandersetzung mit seiner alltäglichen Existenz aus? Er kämpft! „Er war ein Kämpfer“, erklärte Hans-Dietrich Genscher, und der Spiegel meldete: „ ‚Kämpfen, kämpfen, kämpfen‘ war sein Lebensmotto.“ Auch wenn dieser Kampf bedeutete, dass Ihr verstorbener Parteifreund jeden Morgen um sechs Uhr aufstand, um über sämtliche Radiosender aller Welt mitzuteilen, dass er um sechs Uhr morgens aufgestanden ist. „Nerven, nerven, nerven“ war das eigentliche Lebensmotto des Verstorbenen, aber das behalten Sie selbstverständlich für sich.
4. Würdigen Sie die Leistung.
Denn Sie wissen doch besser als jeder andere, dass sich der Verstorbene politisch einiges geleistet hat. Nun kommt es darauf an, das „sich“ zu streichen und unverzagt drauflos zu kondolieren. Achten Sie dabei unbedingt auf Fallstricke: Ihr Satz: „Die politischen Verdienste von Jürgen Möllemann bleiben unvergessen“ (NRW-FDP-Chef Andreas Pinkwart) könnte falsch interpretiert werden, nämlich als versteckter Hinweis auf die durchaus vergessenen finanziellen Nebenverdienste und Konten in Luxemburg. Theoretisch aber befreit Sie jeder Hinweis auf das „political animal“ (Hans-Dietrich Genscher) von komplizierten Erörterung seiner „human condition“. Zutreffende Beurteilungen wie „Quartalsirrer“ (FDP-Politiker Hermann Otto Solms) oder „Selbstmordattentäter“ (Otto Graf Lambsdorff) mögen im Leben zulässig sein, verbieten sich aber unmittelbar nach dem Tode des „intriganten Schweines“ (FDP-Politikerin Irmgard Schwaetzer). Gehen Sie in sich. Was fällt Ihnen am schwersten? Richtig, Respekt. Respekt ist der Schlüssel zu jedem gelungenen Bedauern. Machen sie’s wie Ingo Wolf, Vorsitzender der FDP-Landtagsfraktion in NRW: „Unser tiefer Respekt gilt seiner herausragenden Leistung für die Freien Demokraten in Nordrhein-Westfalen und in ganz Deutschland.“ Hier gilt der tiefe Kotau nicht dem Abgetretenen, sondern seiner Leistung.
5. Weisen Sie dem Verstorbenen einen Platz in der Geschichte zu.
Denn es geht selbstverständlich noch besser, als nur die „politischen Leistungen“ (Andreas Pinkwart) herauszustreichen. Denn die sind schnell vergessen. Oder auf das „politische Talent“ (Wolfgang Clement, Manfred Stolpe, Fritz Pleitgen, Heilbronner Stimme) zu verweisen. Denn Talent hat immer etwas von „ewigem Talent“. Und der Verstorbene hat mehr verdient als beispielsweise den Vergleich mit Mehmet Scholl. Also: Machen Sie Ihren Parteifreund zu etwas Erhabenem. „Eine Seltenheit in der Politik. Bei allem, was war: Der Typ Möllemann wird fehlen.“ (B.Z.-Chefredakteur Georg Gafron) Ja, Deutschland braucht wieder richtige Typen.
Die Verquickung von Anerkennung vor der politischen Leistung und dem bleibenden Wert ist äußerst galant: „Die besonderen Verdienste sichern ihm ein bleibendes Andenken“ (Gerhard Schröder). Nachteil: Das bleibende Andenken kann freilich auch abschreckend interpretiert werden. Sie dürfen dabei halt nicht grinsen. Wenn Ihnen das alles zu viel Denkmalspflege ist, dann machen Sie eine kleine Einschränkung. Wie Angela Merkel: „Auch wenn es in den letzten Jahren sicherlich politische Differenzen gab, war er in allem, was er tat, ein Vollblutpolitiker.“ Heißt so viel wie: Ja, es gibt nur noch wenige „Vollblutpolitiker“ wie Ihren Parteifreund (auch wenn er – politisch gesehen – ein ziemliches Arschloch war). Das in Klammern dürfen Sie bitte niemals auch nur denken.
6. Sprechen Sie ruhig auch ein wenig über sich selbst.
Das fällt Ihnen doch sicher leicht. Peter Gauweiler hat’s vorgemacht: „Es ist Unrecht geschehen mit Jürgen Möllemann. Zum Schluss wurde er gehetzt wie ein Wild.“ Mag sein. Aber deutlich wird jedem bei der Lektüre von Gauweilers Bild-Nachruf: Auch mit Peter Gauweiler ist Unrecht geschehen. Man möge ihn bitte nicht hetzen wie ein Wild.
7. Drängen Sie sich nicht auf und arbeiten Sie besser an Ihrer persönlichen Zukunft.
Reagieren Sie zeitnah. Handeln Sie bis spätestens zwei Stunden nach Todeseintritt Punkt 2 (s. o.) ab – und sagen Sie dann mit interpretationsoffenem Gesicht: „Mehr möchte ich zu diesem Zeitpunkt nicht sagen.“ So wie Dr. Guido Westerwelle. Weil Sie nicht mehr zu sagen haben. Grundsätzlich nicht. Schon gar nicht, wenn Sie ein tiefes Unbehagen spüren. Machen Sie auf keinen Fall in „putzmunterer Opposition“. Weil Sie sich nicht noch tiefer in eine Scheiße reinreiten wollen, in die Sie der Verstorbene mit posthumer Perfidie gebracht hat, deren Ausmaß Sie aber mal wieder nicht absehen können. Zählen Sie sich nicht wie sonst immer automatisch zum „engsten Familien- und Freundeskreis“. Umfahren Sie heute den Zentralfriedhof von Münster großräumig. Entwickeln Sie derweil in aller Stille programmatische Ideen für eigene Bankgeschäfte mit Luxemburg und Liechtenstein. Warten Sie ansonsten ab, bis Gras über die Sache gewachsen ist. Beziehungsweise über den Verstorbenen.
ROBIN ALEXANDER, ARNO FRANK JÖRN KABISCH, THILO KNOTT STEFAN KUZMANY, MICHAEL RINGEL PETER UNFRIED