vertreibung in europa : Einigung ist Chance und Bürde
Kurz vor seiner Einigung, so konnte man in den vergangenen Monaten meinen, war Europa zerstrittener denn je. Der Irakkrieg hatte den Kontinent in ein „altes“ und „neues“ Europa gespalten, und das Scheitern der Europäischen Verfassung hatte offenbart, dass die Verteidigung nationaler Interessen im Zweifel über dem europäischen Gedanken stand.
Inmitten dieser Konfliktlage war der Dauerstreit um das geplante Zentrum gegen Vertreibungen fast zum Symbol der neuen europäischen Uneinigkeit geraten: Statt Forschung stand plötzlich Populismus hoch im Kurs, statt europäischer Lösungen nationales Gedenken, statt Auseinandersetzung Unterstellung.
KOMMENTARVON UWE RADA
Vor diesem Hintergrund grenzt es fast an ein Wunder, dass sich die Kulturminister aus Deutschland, Polen, Tschechien, Ungarn, der Slowakei und Österreich in Warschau nun darauf geeinigt haben, das Thema Vertreibung durch eine Vernetzung bestehender Museen, Forschungseinrichtungen und Initiativen voranzubringen.
Der Streit um das von Vertriebenenchefin Erika Steinbach geplante Zentrum in Berlin wird damit zwar noch nicht vom Tisch sein. Staatliche Weihen kann das Vorhaben nun aber nicht mehr für sich beanspruchen. Steinbachs Zentrum wird, wenn es überhaupt zustande kommt, eine private Initiative sein, die zum Casus Belli einer europäischen Erinnerungskultur nicht mehr taugt. Dem entsprechen auch erste Reaktionen Steinbachs, die die Einigung von Warschau offiziell begrüßt und angekündigt hat, sich am Aufbau eines europäischen Netzwerks beteiligen zu wollen.
Mehr noch als die Degradierung von Steinbachs Zentrum gegen Vertreibung zum Privatvorhaben wiegt aber die Beteiligung nicht nur von Deutschland und Polen, sondern weiterer vier Länder an der Initiative von Warschau. Sollte das Netzwerk Erfolg haben, könnte damit auch in die deutsch-tschechische Diskussion um Vertreibung neuer Schwung kommen.
Diese tatsächliche Europäisierung der Diskussion ist aber nicht nur eine Chance, sie ist auch Bürde. Bis zum nächsten Zusammentreffen der Kulturminister im Oktober in Ungarn gilt es nun, die Arbeit so umsichtig wie bescheiden aufzunehmen.
Ein Scheitern der Netzwerklösung würde schließlich mehr noch als bisher zu einer Renationalisierung des Erinnerns führen. Europa wäre dann um eine weitere Illusion reicher.