piwik no script img

Archiv-Artikel

Stammplatz winkt

Leverkusen nimmt nach einem begeisternden 3:0 gegen Dortmund wieder die Champions League ins Visier

LEVERKUSEN taz ■ Seit einigen Jahren ist es Usus, dass Fußball-Minis aus der F-Jugend – je kleiner, desto niedlicher – vor dem Spiel mit den Profis den Platz betreten. Mit Ende der Begrüßungszeremonie sausen die Zwerge dann mit rasenden Schrittchen vom Feld. Am Samstag hatte eines der BVB-Begleitkinder sekundenlang den gemeinschaftlichen Abgang verschlafen, was die nette Fantasie auslöste, zur Abwechslung könnten mal die Großen tarantelhaft verschwinden und die Kurzen an ihrer Statt das Spiel bestreiten.

Dem BVB wäre ein solcher Spielerwechsel kaum schlechter bekommen als der samstägliche Auftritt seiner Profis. Anfangs hatte Borussia beim wegweisenden Spiel um Europas Geldtöpfe frisch mitgemischt, munter diverse Chancen erspielt, um sie dann ebenso munter zu vergeben und reichlich Kontereinladungen zu verteilen. „Wir sind hier gegen die Wand gelaufen“, urteilte ihr Trainer Matthias Sammer, und das „auch ein Stück dämlich“. Nach einer aufregenden Ersthalbestunde hätte es auch 3:3 stehen können, am Ende waren die zuletzt so erfolgreichen Borussen mit dem 0:3 noch gut bedient.

Der BVB mit seinem Dauerverletztendasein hatte, so Sammer, außer der Startelf „nur noch vier junge Hanseln“ auf der Bank. Als die Routiniers Wörns, Frings und der 37,5-jährige Jubilar Reuter (500. Bundesligaspiel) ausgewechselt waren, stand eine Elf ohne elf auf dem Platz, die altersmäßig von den Auftaktbegleitkindern gar nicht mehr so weit entfernt war.

Leverkusen hat einen Dortmund-Spagat hinter sich. Die Krise der Vorsaison hatte am zweiten Spieltag mit einem 1:1 gegen eben jene Borussia und wegweisend schwacher zweiter Halbzeit ihren Weg genommen. Jetzt kombinieren sie mit Hingabe wieder wie zu besten Champions-League-Zeiten. Trainer Klaus Augenthaler sah im zeitweilig rauschhaften Nachmittag „unsere beste Saisonleistung“. Manager Reiner Calmund war generös: „Der Sieg hätte höher sein können, aber wollen wir mal zufrieden sein.“ Besonders das zweite Tor, ein Galakonter, hatte den Mann entzückt wie ein Zweipfundsteak: „Perfekter geht Fußball eigentlich nicht.“

Auffälligste Figur bei Bayers Renaissance ist Dimitar Berbatow. Zwei Jahre lang hatten alle Übungsleiter (Toppmöller, Hörster, Augenthaler) das Bayer-Publikum mit der Nibelungentreue für den personifizierten Chancentod aus Bulgarien fast um den Verstand gebracht. Plötzlich zeigt der 23-Jährige so ausgiebig Kabinettstückchen, Zweikampfsouveränität und Kombinationsklugheit, dass man ihn schon für den vierten Brasilianer im Team halten möchte. „Mehr Spaß im Training“ führt Berbatow als Grund für den Wandel an, was dazu führe, „mehr Spaß im Spiel zu versuchen“.

Von Spaß ist viel die Rede beim Bayer 04 in 2004: „Spaß und reichlich Punkte“, hieß es schon vorher im Stadionheft. Jetzt sind es überreichliche 19 von 21 möglichen Zählern. Und so mangelt es nicht an Selbstbewusstsein, weder bei Berbatow („Ich will in die Champions League“) noch beim erneut überragenden Lucio, dessen Verbleib allerdings noch unklar ist: „Uefa-Cup kann uns nicht zufrieden stellen.“ Jens Nowotny, plötzlich souveräner als vor seinen Kreuzbandrissen, schielt schon zum letzten Saisonspiel daheim gegen Stuttgart, das könnte „der Show-down werden“.

Der Vorjahresfastabsteiger Loserkusen ist mit beinahe identischem Personal wieder Winnerkusen. Und mag auch vieles neu erscheinen, drei Konstanten bleiben. Erstens der clubtypische Humor: Nachdem Managerkugel Calmund angekündigt hat, den Abstiegsnachbarn 1. FC Köln bei einem Zweitligaspiel per Velo zu besuchen, falls Bayer sensationell wieder Championsligist wird, kam von Klaus Augenthaler am Samstag die nahe liegende Reflexfrage, „ob es dafür wohl ein passendes Fahrrad gibt“. Zweitens ist für Bayer sogar Stammplatz 2 in der Tabelle noch möglich. Und drittens zeigte Dimitar Berbatow in Minute 89, als er frei stehend aus wohlwollend geschätzt drei Metern zielsicher die Latte des verwaisten Tores traf: Auch im neuen Berbatow steckt noch ein bisschen der alte. BERND MÜLLENDER