berliner szenen Beim Zahnarzt

Enjoy your hole!

Dass ich zum Zahnarzt muss, erfreut B. sichtlich. Strahlend erzählt er mir, wie ihm seine Mutter – eine pensionierte Zahnärztin – auf dem Küchentisch mal eine Wurzelbehandlung verpasst habe. Obwohl er nicht alt ist, verbanne ich die Geschichte in die Zeit der Zahnbrecherei. Vor dem Dental-Discounter in der Sonnenallee stehend, betrachte ich lange pinkfarbene Spuckbecken und giftgrüne Zahnarztstühle. Den Magen fülle ich nebenan. Wegen der Schmerzen kaue ich nur rechts.

Am Tag darauf beim Zahnarzt hinterlassen meine feuchten Hände auf dem grauen Plastikbezug der Liege Schlieren. Ich denke an das Phänomen der im Todeskampf verstrickten, gleich starken Hähne, die, um mit dem Leben davonzukommen, plötzlich nach Körnern picken: Ich könnte einschlafen! Als das Articain mein zentrales Nervensystem streichelt, bleibt dem aufgeschreckten Körper aber keine Zeit mehr für Übersprungshandlungen. Stattdessen wiederholt sich in meinem überwachen, um sich selbst kreisenden Kopf die entscheidende Frage: Wie kommt die Hose einer Kreuzlinger Nobelmarke an meinen Kassenarzt? Da die konzentriert verengten Pupillen des Arztes tabu sind, bleibt mir nur, das grelle Weiß in flackerndes Rot zu tauchen. Erst als vor meinen gesenkten Liedern ein Gewebestück („Ihr Nerv!“) präsentiert wird, verschwindet auch die Frage nach der Hose im Nebel des Kurzzeitgedächtnisses.

Tage später suche ich erneut beim erfahrenen B. Rat. Der medizinische Kaugummi, der bis dato meinen Zahntorso verschloss, gibt einen verbotenen Blick in dessen Inneres frei. Ich solle mir keine Sorgen machen, Füllungen seien Nebensache. Derweil rät er: „Enjoy your hole!“

SONJA VOGEL