Schlechter kann‘s nicht werden

betr.: „Zu Recht pathetisch“ (Polen in der EU), taz vom 10. 6. 03

Pathetische Auftritte der Herren Kwasniewski und Miller sollte man nicht allzu ernst nehmen. Sie sind Medienprofis und unglaublich wandlungsfähig. Nein, die Auseinandersetzung um den EU-Beitritt Polens war kein „Kulturkampf“, in dem sich „Befürworter eines chauvinistischen Nationalstaates“ und solche „eines modernen, liberalen Polens“ gegenüberstanden.

Die polnische Gesellschaft ist heute sozial und ökonomisch gespalten wie ein Dritte-Welt-Land. Das EU-Referendum konnten die Gewinner der marktwirtschaftlichen Wende zu ihren Gunsten entscheiden, weil sie im Rahmen einer gewaltigen Propagandakampagne und zum Teil unter Zuhilfenahme chauvinistischer Ressentiments gegenüber den Osteuropäern jenen Teil der Wendeverlierer zur Abstimmung pro EU bewegen konnten, der für sich noch ein Quäntchen Hoffnung bewahrt hat. Treffend drückt das Bürgermeister Piotrowiak aus dem Städtchen Gozdnica nahe der deutschen Grenze aus, wo 91,6 Prozent pro EU votierten: „Die Leute haben so abgestimmt, weil sie meinen, dass es schlechter nicht werden kann. In der Stadt sind 40 Prozent arbeitslos, und die einzige Hoffnung bezieht sich auf die Öffnung der Grenzen.“ (Rzeczpospolita, 10. 6. 03). RICHARD KALLOK, Kaufungen

Zum glücklich besiegelten Beitritt Polens zur EU hier ein hübsches Zitat von Friedrich Nietzsche: „Ich halte ernsthaft die Deutschen für eine hundsgemeine Art Mensch und danke dem Himmel, dass ich in allen meinen Instinkten Pole und nichts andres bin.“ (Brief vom 29. 12. 1888 an Fräulein Meta von Salis)

Als einer der Nachfahren der „Hundsgemeinen“, die sich im Jahrhundert nach Nietzsche erst richtig auslebten, freue ich mich über die Klugheit und Nachsicht der großen Mehrheit der polnischen Wähler. Nun geht es darum, das in Polen verbreitete und eher resignierte, ja opfermäßige „Es gibt keine Alternative zum EU-Beitritt“ zu überwinden. Dabei dürfte das Bewusstsein helfen, dass spätestens jetzt verbindlich und nah Polens Probleme auch die Deutschlands sind und umgekehrt. Nach Willy Brandts historischem Kniefall am Denkmal für die Opfer des Warschauer Ghettos vor über 30 Jahren steht jetzt eine gutnachbarliche Umarmung zwischen Rau und Kwasniewski an, wenn im nächsten Jahr das Beitrittsdatum gekommen ist. UDO GRÖNHEIT, Berlin