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Archiv-Artikel

berliner szenen Private Deformation

Für immer Taxifahrer

Ich bin deformiert durch meinen Beruf. So wie ein Lehrer, der alles besser weiß; so wie eine Krankenschwester, die fragt „Wie geht’s uns denn heute?“, so bin ich in jeder Lebenslage ein blöder, oller Taxifahrer geworden.

Am Horner Kreisel winken zwei Anhalter. Das heißt, sie winken nicht, sondern halten ein Schild raus: „Berlin“. Ich schnell die Visagen abgecheckt – ein junges Pärchen, sehen nett aus und vor allem ungefährlich – und von der linken Spur, zack, rechts ran. Ich räume so umständlich auf dem Beifahrersitz herum, dass sich die beiden gleich nach hinten setzen, und da gehören sie schließlich auch hin. Wo sie in Berlin genau hinwollen, also „Straße und Hausnummer, bütte“, berlinere ich hemdsärmelig vor mich hin, zugleich gekünstelt und doch schon instinktiv – ob ich sie in dem Moment so ankotze wie mich selber? Aber ich kann doch nichts dafür: Das Leben hat mich zu dem gemacht, was ich bin: zu einem drögen Berlinosaurus mit Lederwestenseele.

Der Junge fragt mich dies und das und woher ich komme, und ich erkläre umständlich, warum ich in dem schicken Auto unterwegs bin, das mir nicht gehört und dessen Bedienungselemente mir sichtlich noch ein Buch mit sieben Siegeln sind. So peinlich ist mir das Auto und so voller Widersprüche mein Gerede, dass sie im Innenspiegel fragende Blicke austauschen. Auf der Mittelkonsole liegt ein polnisches Wörterbuch. Was soll’s – mein Privatleben geht die Fahrgäste eh nichts an.

Den Rest der 300 Kilometer verbringen wir schweigend, dann halte ich direkt vor ihrem Haus. „450 Euro bitte“, sage ich, „ach Quatsch“, und lache verschämt. Ob ich früher mal Taxi gefahren sei, fragt der Kunde. Woher weiß er das bloß?

ULI HANNEMANN