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Archiv-Artikel

Erster Prozess um Praxis der Währungsunion

EuGH verhandelt Klage der EU-Kommission gegen den Rat wegen zu lascher Handhabung des Stabilitätspaktes

KARLSRUHE taz ■ Zum ersten Mal verhandelt der Europäische Gerichtshof (EuGH) in Luxemburg heute über Fragen der Währungsunion. Die EU-Kommission wirft dem Ministerrat vor, er habe den Stabilitätspakt verletzt, als er im November das Defizitverfahren gegen Frankreich und Deutschland „aussetzte“.

Der Prozess gilt als Machtkampf zwischen Kommission und Rat über die Auslegung der Stabilitätspolitik. Die Kommission hatte bereits im November 2002 ein Mahnverfahren gegen Deutschland und Frankreich eingeleitet, weil es beiden Staaten nicht gelang, ihr Haushaltsdefizit unter 3 Prozent des Bruttoinlandsprodukts zu halten. Im letzten Herbst kam es zum Streit, als die Kommission vom deutschen Finanzminister Hans Eichel (SPD) forderte, er solle seinen Haushaltsplan um 6 Milliarden Euro abspecken.

Eichel sah sich dazu nicht in der Lage und organisierte stattdessen im Ministerrat eine Mehrheit gegen die Kommission. Mit einem Zweidrittelvotum wurden Deutschland und Frankreich für das Erreichte gelobt und mit relativ milden Empfehlungen bedacht. Das Defizitverfahren wurde eingestellt.

Nach Ansicht der Kommission hat der Rat damit seine Kompetenzen überschritten. Doch selbst wenn die Brüsseler Behörde mit ihrer Klage Erfolg hätte, wäre das nur ein symbolischer Sieg. Denn der Rat könnte die harte Linie der Kommission auch auf anderem Weg blockieren, etwa indem er deren Vorschläge einfach ablehnt.

Es wird heute in Luxemburg also vor allem um Verfahrensfragen des Stabilitätspaktes gehen. Aller Voraussicht nach wird sich der Gerichtshof nicht mit der Frage beschäftigen, ob das Defizit in Frankreich und Deutschland vermeidbar war. Denn dazu müssten sich die Richter auf komplizierte ökonomische Bewertungen einlassen, für die sie weder qualifiziert noch legitimiert sind.

Verfahrensteilnehmer sind nur die Kommission und der Rat. Die Vertreter Deutschlands und Frankreichs werden den Prozess von den Zuschauerbänken aus verfolgen. Sie haben absichtlich keine Stellungnahme zugunsten des Ministerrats abgegeben, um die Front der EU-Staaten geschlossen zu halten. Andernfalls hätten möglicherweise die Niederlande und Österreich auf Seiten der Kommission in das Verfahren eingegriffen. Beide Staaten hatten den Ratsbeschluss vom November heftig kritisiert, weil er eine Sonderbehandlung für große EU-Länder darstelle.

Die mündliche Verhandlung wurde ungewöhnlich schnell angesetzt. Denn auf Antrag der Kommission beschloss EuGH-Präsident Vassilious Skouris, ein beschleunigtes Verfahren durchzuführen. Das Urteil wird deshalb noch in diesem Sommer erwartet. CHRISTIAN RATH