: Angst vor dem blanken Chaos
Merkel und Stoiber haben sich bei der Gesundheitspolitik geeinigt, aber der Schlingerkurs bei der Steuerreform geht weiter. In der CDU hat man nur begrenzt Verständnis für den Bayern, der sich vor der Landtagswahl von seiner sozialen Seite zeigt
von LUKAS WALLRAFF
Angela Merkel und Edmund Stoiber haben gestern telefoniert. Angeblich ging es bei dem Gespräch der Parteivorsitzenden ausschließlich um eine gemeinsame Haltung der Union zur rot-grünen Gesundheitsreform. Die, immerhin, ist nun gefunden: Etwas mehr Privatisierung und Eigenbeteiligung der Patienten bitte, aber nicht ganz so radikal, wie es die CDU gern wollte. Die Parteichefs hätten „sachlich“ diskutiert und einen „Kompromiss“ erzielt, hieß es aus Stoibers Umfeld. Über andere Themen sei nicht gesprochen worden.
Im Klartext heißt das: Merkel und Stoiber haben nur den dringendsten Konflikt zwischen CDU und CSU entschärft – aus purer Zeitnot, weil sich die Union wohl oder übel schon morgen im Bundestag zur Gesundheitsreform äußern muss. Andere, langfristig wichtigere Streitthemen bleiben ungeklärt. Merkel und Stoiber werden noch häufiger zum Telefon greifen müssen.
Eine einheitliche Strategie gegenüber Rot-Grün im Bundesrat ist bisher ebenso wenig zu erkennen wie eine Klärung der internen Machtverteilung. Dass die Regierungsparteien über das Hin und Her der Opposition lästern, wäre nicht so schlimm. Das gehört zum politischen Geschäft. Viel schwerer wiegt: Auch in den eigenen Reihen weiß niemand mehr zu sagen: Was will die Union in der Steuer- und Finanzpolitik? Was hält die Union von der geplanten neuen Verfassung der EU? Wer hat das Sagen, Stoiber in München, Merkel in Berlin oder gar Roland Koch in Hessen? Im Moment, so wird in der Union inzwischen laut beklagt, herrsche nur eins: das blanke Chaos.
Der Wirtschaftsrat der CDU kritisierte gestern ungewöhnlich heftig das „Meinungsdesaster in der Union“. Dem Vorsitzenden des Rats, Kurt Lauk, gehen die Reformbemühungen der Union insgesamt nicht weit genug. Die zögerliche Haltung zur Steuerreform findet er völlig unverständlich. Die Union, so Lauk, habe „genügend Zeit gehabt, sich darauf vorzubereiten“. Doch ganz offensichtlich reichte die Zeit nicht aus, um alle wichtigen Unionspolitiker auf eine Linie einzuschwören. Von Baden-Württembergs Ministerpräsident Erwin Teufel und CDU-Vize Jürgen Rüttgers ist ein klares Ja zum Vorziehen der Steuerreform von 2005 auf 2004 zu hören. Von Unions-Fraktionsvize Friedrich Merz dagegen kommt ein klares Nein: „Wir sind nicht bereit, Harakiri zu machen“, so Merz. Und die CDU-Chefin? Lässt die Debatte laufen, ohne sich selbst festzulegen. Steuersenkungen seien möglich, erklärte Merkel, aber nur, „wenn vorher der notwendige Spielraum erarbeitet wird“. Wie, kann sie nur vage sagen, denn sie weiß: Genau da beginnt der nächste Streit in der Union. Der um den Subventionsabbau. Während sich Koch im Duett mit dem SPD-Kollegen Steinbrück als „Rasenmäher“ aufspielt, der die Subventionen pauschal um 10 Prozent herunterdrücken will, bremst Stoiber erneut – wie bei der Gesundheitsreform.
Ob Eigenheimförderung, Steuerfreiheit von Nachtarbeit oder Pendlerpauschale – wenn es nach dem CSU-Chef geht, soll alles erhalten bleiben. Schließlich ist im September Landtagswahl in Bayern. Zeit für den Ministerpräsidenten, das „S“ im Namen der CSU stärker zu betonen.
In der CDU hat man für Stoibers Strategie nur begrenzt Verständnis. Denn sie versaut das Image der Union als energische Reformpartei. Die Union dürfe politische Entscheidungen „nicht von der nächsten Wahl abhängig machen“, sagte Fraktionsvize Wolfgang Bosbach (CDU) der taz. Beim Subventionsabbau müsse neu gedacht werden. „Darum werden wir nicht herumkommen.“ Bosbach wünscht sich: „Wir dürfen Sachfragen nicht zu Machtfragen machen.“ Das wäre wirklich etwas Neues.