: Betriebsrat? Nicht bei Aldi
AUS MÜNCHEN JÖRG SCHALLENBERG
„Die offene Arbeitsatmosphäre bei Aldi Süd ist genau das, was ich gesucht habe. Und: Es ist ein schönes Gefühl, in seinem Beruf zu den Besten zu gehören.“ Mit diesem Spruch und charmantem Lächeln wirbt eine Verkäuferin im Internet für ihren Arbeitgeber. Leider steht weder ihr Name dabei noch der Ort, an dem sie arbeitet. Schade, man hätte sie gern noch ein bisschen mehr über ihren tollen Arbeitsplatz befragt.
Jasna Schmidt lächelt nicht, wenn sie von Aldi Süd erzählt. Dabei arbeitet auch sie als Verkäuferin und Kassiererin bei einer Filiale des Discounter-Giganten, in München-Großhadern. Der Markt geriet jüngst sogar in die Schlagzeilen, denn dort soll ein Betriebsrat gewählt werden. Es wäre, laut Dienstleistungsgewerkschaft Ver.di, der erste der 1.500 Dependancen des Unternehmens in Süd- und Westdeutschland. Initiatorin dieses Vorhabens war Jasna Schmidt, eine von 15 Angestellten im typischen Aldi-Flachbau an der Großhaderner Straße.
Am Samstagnachmittag hat die 33-jährige gebürtige Slowenin frei. Sie sitzt in einem Café ein paar U-Bahn-Stationen von ihrem Arbeitsplatz entfernt, wirkt leicht angespannt, vor ihr dampft der Kaffee, in der Hand glimmt eine Zigarette. So ungefähr muss es auch aussehen, wenn sie gerade Pause macht in ihrem Job. Der Unterschied ist allerdings, dass Jasna Schmidt seit einiger Zeit die Pause fast immer alleine verbringen muss – weil ihr Chef, Filialleiter T., das so eingeteilt hat. Genau genommen, seit die Verkäuferin auf die Idee mit dem Betriebsrat kam.
Das, sagt Dagmar Rüdenburg, „scheint bei Aldi Süd das oberste Tabu zu sein: Betriebsräte.“ Rüdenburg kümmert sich bei Ver.di in München um den Fachbereich Handel. Bei ihr und einem Kollegen landete Jasna Schmidt, als sie im vergangenen Jahr genug hatte von den Schikanen ihres Chefs. Beim Treffen im Café zählt die Verkäuferin diverse Vorfälle auf: „Einmal hatte ich ein paar Tage lang Rückenprobleme. Als ich dann wieder zur Arbeit gekommen bin, hat mich der Filialleiter vor Kunden lauthals gefragt: Hat Sie Ihr Mann nicht zugedeckt, als er Sie von hinten genommen hat?“
Der rüde, diffamierende Ton gehörte zum Alltag. Eine dunkelhäutige Kollegin soll der Filialleiter ständig als „schwarzen Teufel“ gerufen haben; wer sich krankmeldete, wurde als „Simulantin“ beschimpft; wer sich über die Arbeitsbedingungen beschwerte, musste mit massiven Einschüchterungen rechnen. Dabei gibt es offenbar einiges zu bemängeln. Wenn der Chef jemanden nicht mochte, erzählt Jasna Schmidt, „hat er Aufgaben zugeteilt, die man einfach nicht schaffen konnte. So was wie: In einer Stunde sechs Paletten Kühlware auffüllen, sich nebenbei noch ums Leergut kümmern und die anderen Regale im Auge behalten, weil die auch ständig nachzufüllen sind. Wenn man es dann, natürlich, nicht schafft, setzt es sofort eine Rüge.“
„Wir dürfen nichts sagen“
Mit solchen vergleichsweise subtilen Methoden, sagt Schmidt, sollen die Verkäuferinnen unter Druck gesetzt werden – schließlich müssten sie befürchten, irgendwann ihren Job zu verlieren. Dabei ist schon das normale Pensum belastend genug: Kassiererinnen etwa sollen laut Aldi-Süd-Vorgaben bis zu neunzig Kunden pro Stunde bedienen.
Darüber hinaus wird die täglich vereinbarte Arbeitszeit wie selbstverständlich ausgedehnt. „Es wird – nicht nur in diesem Aldi-Markt – erwartet, dass die Mitarbeiterinnen täglich eine Dreiviertelstunde oder auch mal länger unbezahlt arbeiten“, schildert Ver.di-Frau Rüdenburg ihre Erfahrungen mit dem Discounter. Damit relativiert sich aber die von Aldi gern öffentlichkeitswirksam aufgestellte Behauptung, alle Mitarbeiterinnen würden über Tarif bezahlt – was ohnehin nicht stimmt. „Aldi zahlt zwar manchmal bis zu 20 Prozent über Tarif“, sagt Dagmar Rüdenburg. Aber bei ihr saßen schon mehrere Aldi-Verkäuferinnen, die nicht mehr bekommen haben als tariflich zugesichert.
Jasna Schmidt und zwei ihrer Kolleginnen reichte es schließlich. Anfang dieses Jahres bereiteten sie mit Hilfe der Gewerkschaft die Wahl eines Betriebsrats vor. „Wir wollen dem Chef zeigen“, sagt Schmidt, „dass er mit den Angestellten nicht umgehen kann, wie er will.“ Doch damit fingen die Schwierigkeiten erst an. Offen ging bei Aldi Süd niemand gegen dieses Anliegen vor. Doch in den Tagen, bevor eine Betriebsversammlung den Wahlvorstand bestimmen sollte, wurden alle Mitarbeiterinnen des Großhaderner Aldi-Marktes zu einem Gespräch unter sechs Augen mit dem Filialleiter und dem Bezirksleiter gebeten. Man befragte sie, so berichteten mehrere Verkäuferinnen später, wie sie denn abstimmen würden, und riet ihnen nachdrücklich, sich ihr Verhalten genau zu überlegen. Zudem drohte der Filialleiter, Urlaubs- und Weihnachtsgeld zu streichen, sollte ein Betriebsrat zustande kommen. Nur Jasna Schmidt wurde nicht ins Büro zitiert – dafür bot man ihr mehrmals diskret an, ihren Arbeitsplatz gegen eine Abfindung zu räumen.
Filialleiter T. will sich gegenüber der Presse nicht äußern. „Wir dürfen dazu nichts sagen“, sagt er knapp und verweist auf die Regionalzentrale in Eichenau. Dort teilt eine junge Frau am Telefon sehr freundlich mit: „Wir sagen überhaupt nichts, zu keinem Thema.“ Dann vielleicht die Aldi-Süd-Zentrale in Mülheim/Ruhr? „Wenn Sie in der Zentrale anrufen“, erklärt die junge Frau das Aldi-Pressearbeit-Prinzip, „werden die Sie wahrscheinlich wieder an uns verweisen, und wir sagen dann immer noch nichts.“ In der Zentrale in Mülheim geht niemand ans Telefon, ein Fax bleibt unbeantwortet.
Sehr präsent ist der Konzern dagegen auf der Betriebsversammlung im Aldi-Süd-Markt München-Großhadern Anfang April. Dort taucht plötzlich der Geschäftsführer der zuständigen Regionalzentrale auf und weigert sich trotz Aufforderung durch Dagmar Rüdenburg, während der Abstimmung über die Einsetzung eines Wahlvorstands den Raum zu verlassen. Als Wahlleiter bestimmt er kurzerhand den Assistenten des Filialleiters. Zwei Verkäuferinnen fordern daraufhin eine geheime Wahl, ihr Wunsch wird ignoriert. Wenig überraschend fällt das Ergebnis aus: Mit zehn zu drei Stimmen entscheiden sich die Aldi-Mitarbeiterinnen unter den argwöhnischen Blicken ihrer Vorgesetzten gegen die Ernennung eines Wahlvorstands. Der Versuch, einen Betriebsrat zu installieren, ist damit im ersten Anlauf gescheitert.
Bei Ver.di ist man über den hartnäckigen Widerstand gegen die simple Einrichtung einer in normal geführten Unternehmen völlig üblichen Arbeitnehmervertretung wenig überrascht. Zwar existieren – zumindest bei Aldi Nord – in etwa zwei Dutzend Filialen und Lagern Betriebsräte, doch Hans-Martin Poschmann, der in der Berliner Ver.di-Zentrale für Discounterfirmen zuständig ist, sieht sich angesichts der Münchner Vorgänge in seiner Wertung bestätigt: „Aldi versucht, Betriebsräte auf Teufel komm raus zu verhindern.“ Wobei die Münchner Billigmarktexpertin Dagmar Rüdenburg die Konkurrenz noch schlimmer einschätzt: „Aldi macht es da eher auf die sanfte Tour.“
Als führend beim Blockieren von Betriebsräten gilt eher Deutschlands zweitgrößter Discounter Lidl: Dort, klagen die Gewerkschaften, ist man dazu übergegangen, Unternehmensbereiche in immer kleinere rechtliche Einheiten umzuwandeln, um die für Betriebsratswahlen nötige Mitarbeiterzahl zu unterschreiten. Bei der Drogerie-Billigkette Schlecker, seit Jahren für miserable Arbeitsbedingungen und schlechte Bezahlung berüchtigt, verfügt allenfalls ein Drittel der europaweit 12.500 Filialen über Betriebsräte. Erst als Unternehmensgründer Anton Schlecker Ende der Neunziger wegen Lohndumpings zu einer hohen Geldstrafe verurteilt wurde, unterschrieb er überhaupt einen Tarifvertrag.
Bei anderen Billigmärkten ist die Situation nicht besser. Ver.di-Chef Frank Bsirske geißelte erst vor wenigen Wochen die „entwürdigende Beschäftigtenhaltung“ und die permanente Blockierung von Betriebsratsarbeit bei allen führenden Discountern im Schnäppchenstaat Deutschland, in dem die Billiganbieter Aldi, Lidl, Schlecker, Penny & Co. im vergangenen Jahr 38 Prozent Marktanteil im Einzelhandel hielten. Die schlechte Wirtschaftslage treibt den Preistiefstaplern die Kunden scharenweise zu: Allein Lidl hat im vergangenen Jahr 422 neue Märkte in Deutschland eröffnet. Über 100.000 Angestellte, zu drei Vierteln Frauen, sind bei den Discountern beschäftigt, die sich seit Jahren untereinander mit immensem Werbeaufwand bekriegen.
Nur Gutes über Aldi Süd
Wobei etwa Aldi Süd nicht überall Anzeigen schalten will, beispielsweise nicht mehr in der Süddeutschen Zeitung, seit die über die Vorkommnisse in der Großhaderner Filiale berichtete. Kunden, die sich über das plötzliche Verschwinden der ganzseitigen blauen Annonce wundern, rät der Marktleiter schon mal: „Kaufen Sie sich doch den Münchner Merkur, da ist die Anzeige noch drin.“ Dieses Blatt hat bislang nichts Negatives über Aldi zu berichten. Wie ohnehin auffällt, dass sich mit taz, Focus, Spiegel und dem Bayerischen Rundfunk bislang nur Medien für den gescheiterten Betriebsrat und die merkwürdige Anzeigenkündigung interessieren, die von Aldi kein Geld für Werbung kassieren. Von den anderen Münchner Zeitungen, denen der Discounter bisher gewogen ist, hat sich noch niemand bei Dagmar Rüdenburg nach dem Stand der Dinge erkundigt.
Dabei geht der Kampf um den Betriebsrat weiter, der nun für insgesamt vier Münchner Aldi-Filialen mit mehr als 50 Mitarbeiterinnen durchgesetzt werden soll. Heute Abend findet eine erneute Betriebsversammlung statt. Jasna Schmidt ist natürlich dabei, sie würde sich inzwischen auch selbst in einen Betriebsrat wählen lassen. Scheitert die Versammlung erneut, wird Ver.di vor Gericht ziehen.