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Archiv-Artikel

Kein Kuckucksheim in Nord

Die Koalition stellt ein rot-schwarzes „Zukunftsprogramm“ für das Bremer Sorgenkind vor. Eine lange Wunschliste mit Projekten, die aber natürlich alle noch unter Finanzierungsvorbehalt stehen

Zwischen Farge und Vegesack sollen bald wieder Personenzüge fahren

taz ■ Wenn Bremen unter den westdeutschen Bundesländern die rote Laterne in punkto Arbeitslosigkeit trägt und dies als besonders traurig gilt – wie schaurig muss es dann erst in Bremen-Nord sein? Das Verhältnis von Arbeitsplätzen zu Einwohnern liegt dort sogar noch unterhalb Bremerhavens, betonte unablässig SPD-Fraktionschef Jens Böhrnsen. „80 Prozent der Arbeitnehmer pendeln aus Bremen-Nord zu ihrem Job“, fügte CDU-Fraktionsvize Helmut Pflugradt hinzu.

Um aus dem Tal der Tränen hinaus zu gelangen, stellten die Koalitionäre gestern ein rot-schwarzes „Zukunftsprogramm Bremen-Nord“ vor. Es sei das erste Mal, dass der Stadtteil einen eigenen Part im Koalitionsvertrag bekomme, sagte der Bremen-Norder Jens Böhrnsen. Allerdings sei es nicht vorgesehen, für Vegesack, Blumenthal und Co. in Zukunft eine feste Investitionsquote festzuschreiben – für Bremerhaven gilt, dass ein Fünftel der Mittel dorthin fließen sollen.

Entstanden ist eine lange Koalitions-Wunschliste von Projekten, die natürlich alle noch unter Finanzierungsvorbehalt stehen. Böhrnsen: „Wir wollen ja seriös bleiben.“ Und: „Wir wollen kein Wolkenkuckucksheim hier definieren.“ Dennoch sei er davon überzeugt, dass man alle Projekte in den nächsten vier Jahren in Angriff nehmen könne.

Schaun mer mal. Damit der von Vulkan- und Baumwollkämmerei-Miseren geplagte Norden endlich wieder „eine bedeutende Rolle“ (Böhrsen) übernimmt, will die CDU vor allem die Verkehrsanbindung verbessern. Für CDU-Mann Pflugradt steht hier vor allem der Bau der B 74/A270 bis Farge im Vordergrund. Auch die Schienenanbindung soll verbessert werden. Deshalb soll auf den Gleisen der privaten Farge-Vegesacker-Eisenbahn (FVE) bald ein einjähriger Bahn-Probebetrieb laufen. Als Betreiber dafür ist auch der Bahn-AG-Konkurrent Connex im Gespräch. 1961 war der Personenverkehr auf der Strecke eingestellt worden. Seitdem verkehren auf den Gleisen nur noch die Güterzüge.

„Wenn das vernünftig getaktet wird“, käme man auch wieder schnell in die City, sagte Pflugradt. Es könne nicht sein, dass die Farger derzeit anderthalb Stunden mit dem ÖPNV zum Hauptbahnhof bräuchten. Auch deshalb wollen sich die Koalitionäre dafür einsetzen, dass die Regionalbahn zwischen Vegesack und Hauptbahnhof in Zukunft nicht mehr alle halbe Stunde, sondern alle 15 Minuten fährt. Dafür, dass die Norder endlich im gleichen VBN-Tarif wie die Bremer Bahn fahren, will sich die Koalition ebenfalls stark machen. Bislang gilt für sie ein Extra-Tarif.

Der Norden habe „große Potenziale“ bei Flächen für Wohnen und Gewerbe, sagte Jens Böhrnsen. Dennoch werde die Koalition das Wahlversprechen einhalten, den Oeversberg „zunächst nicht“ als Gewerbefläche für den Science Park in Angriff zu nehmen. Dafür wollen sich SPD und CDU verstärkt aufs Wohnungsbauen konzentrieren, so durch die Umnutzung der Gewerbeflächen am Rönnebecker Hafen.

Natürlich soll auch der Norder Einzelhandel wieder anspringen. Die gläserne Markthalle auf dem Sedanplatz soll gebaut werden, beim Erwerb des seit einem Jahr leerstehenden Kaufhaus Kramer sei man „in Verhandlungen“, sagte Pflugradt. Weiter soll die Fußgängerzone in Vegesack „wetterfest“ gemacht, sprich: überdacht werden. Der Norden soll auch vom Bibliotheken-Sterben verschont bleiben: Die Büchereien in Vegesack und Lesum bleiben bestehen. Dafür geht es dem Heidbergbad an den Kragen. Es soll geschlossen werden – aber erst dann, wenn am See im Sportpark Grambke ein neuer Strand geschaffen ist.

Doch selbst wenn Finanzsenator Hartmut Perschau (CDU) bei den anstehenden Etatverhandlungen alle Träume der Koalitionäre durchwinken würde, schien gestern eins allen klar. Helmut Pflugradt: „Das riesige Defizit an Arbeitsplätzen werden wir in Bremen-Nord nicht beseitigen können.“

Kai Schöneberg