: Bodenoffensive in Gaza
Israel mobilisiert zehntausende Reservisten für den Kampf gegen die Hamas im Gazastreifen. Die Organisation behauptet, zwei israelische Soldaten entführt zu haben
JERUSALEM taz ■ Einen Tag nach Beginn der israelischen Bodenoffensive zeigt sich die Hamas im Gazastreifen noch unbeeindruckt. Rund 30-mal schrillten die Sirenen in den israelischen Grenzortschaften am Sonntag als Warnung vor Raketen. Im Gazastreifen starben Berichten zufolge 30 Menschen im Verlauf der ersten Stunden der Invasion. Damit steigt die Zahl der palästinensischen Todesopfer auf 500. Unter den israelischen Soldaten gab es einen Gefallenen. Hörfunk- und Fernsehstationen, die von der Hamas betrieben werden, berichteten über zwei israelische Soldaten, die angeblich von der Hamas entführt worden seien. Die Armee bestätigte diese Information nicht. Es handele sich um psychologische Kriegsführung.
Ausgerüstet mit Nachtsichtgeräten drangen schon in der Nacht auf Sonntag tausende Soldaten in den Gazastreifen vor. Die Regierung hatte sich zuvor über die Mobilisierung von mehreren zigtausend Reservisten abgestimmt. Mit Panzern schnitten die Soldaten eine Schneise durch den Gazastreifen, um den südlichen Abschnitt vom Norden zu trennen. Die israelische Armee rückte bis zur Siedlung Nezarim, die drei Kilometer von Gaza-Stadt entfernt liegt. Inzwischen hat sie die Hauptstadt im Gazastreifen umzingelt. Neben weiteren Bombardements aus der Luft nahmen auch israelische Kriegsschiffe die Küstenregion am Mittelmeer des palästinensischen Autonomiegebietes unter Beschuss.
Regierungschef Ehud Olmert betonte in der gestrigen Regierungssitzung, dass Israel die Operation nicht gewollt habe, „uns jedoch keine Alternative blieb“. Auch Verteidigungsminister Ehud Barak klärte in einer Ansprache darüber auf, wie schwer ihm die Entscheidung gefallen sei. „Wir suchen den Frieden und haben uns lange zurückgehalten“, meinte er. Jetzt sei die Zeit gekommen, um zu tun, „was getan werden muss“. Barak betonte, die Armee sei gut vorbereitet.
Das erklärte Ziel ist, die Raketengefahr auf die israelischen Ortschaften in der Umgebung des Gazastreifens einzudämmen. Was bislang passiert, ist genau das Gegenteil: Die Hamas intensiviert ihre Angriffe, schießt mit Raketen, die eine deutlich größere Reichweite als die hausgefertigten Kassams haben und die inzwischen schon bis zur viertgrößten Stadt Israels, Beerschewa, reichen. Kindergärten und Schulen im Radius von vorläufig 40 Kilometern bleiben seit gestern geschlossen.
Am Samstagabend demonstrierten tausende Anhänger linker Friedensbewegungen in Tel Aviv gegen die Operation. Die „Ärzte für Menschenrechte“ forderten, schwerkranke Palästinenser zur Behandlung nach Israel zu bringen.
„Es hat noch nie einen Krieg gegeben, der das Ende aller Kriege bedeutet“, kommentierte die Tageszeitung Jediot Ahronot. Maximal einen Monat werde es dauern, bis die radikal-islamische Hamas, „nachdem wir sie entschieden geschlagen haben, dahin zurückkehrt, wo sie vorher war“.
Zunächst will die israelische Armee die militärische Infrastruktur in den Regionen zerstören, aus denen die Raketen auf Israel abgeschossen werden. Anders als beim Libanonkrieg steckte Barak die Ziele niedrig. Läuft es weiter so wie bisher, dann kann der Chef der Arbeitspartei bei den kommenden Wahlen punkten. Entscheidend ist, den rechten Zeitpunkt für ein Ende der Invasion abzupassen, um anschließend einen diplomatischen Prozess einzuleiten. Gelingt das nicht, droht eine Wiederholung der Ereignisse im Libanon, als die Hisbollah nicht nur den Krieg erklärte, sondern binnen kürzester Zeit die Waffenlager wieder aufgefüllt hatte. SUSANNE KNAUL