: Eine Stele für Chris Gueffroy
Ein Gedenkort erinnert ab Samstag an den letzten Mauer-Toten. Initiiert wurde er von Michael Cramer (Grüne). Kultursenator Flierl: „Als PDS-Politiker spüre ich eine besondere Verantwortung“
von ROBIN ALEXANDER
Die Erinnerung an die Mauertoten bekommt in Berlin einen weiteren Platz. Wie die taz vorab erfuhr, wird am Samstag eine Gedenkstele für Chris Gueffroy, den letzten Toten an der Mauer, der Öffentlichkeit übergeben. Die 2,60 Meter hohe und 60 Zentimeter breite Stele wird am Britzer Verbindungskanal zwischen den Bezirken Neukölln und Treptow errichtet. Dort wurde der 20-jährige Chris Gueffroy in der Nacht zum 6. Februar 1989 bei einem Fluchtversuch von DDR-Grenzsoldaten erschossen. Zusätzlich wird an der Britzer Brücke eine Informationstafel aufgestellt. Von dieser Brücke wird die neue Gedenkstele zu sehen sein.
Auf Wunsch seiner Mutter wird die Stele nicht – wie ursprünglich geplant – am fünfzigsten Jahrestags des Arbeiteraufstands, dem 17. Juni, eingeweiht, sondern am 21. Juni, dem Sommeranfang und Geburtstag Chris Gueffroys. „Chris war als Junge immer stolz, an dem Tag Geburtstag zu haben, wenn die Nacht am kürzesten ist“, erklärt Karin Gueffroy. Am kommenden Samstag wäre Gueffroy 35 Jahre alt geworden.
Auf Anregung von Karin Gueffroy wurde der Berliner Bildhauer Karl Biedermann mit der Gestaltung der Stele beauftragt. Der schuf bereits die Gedenksäule für Peter Fechter im Bezirk Mitte. Der Gedenkstein für Gueffroy ist ähnlich gestaltet. Beide Denkmäler bestehen aus eisenoxidfarbigem Stahl, was den Eindruck von Rost erweckt. Beide sind Säulen, allerdings ist das neue Werk angeschnitten und hat somit eine glatte Sichtfläche.
Durch diese ähnliche Gestaltung wird die Erinnerung an den letzten Mauertoten mit der Erinnerung an eines der ersten Opfer künstlerisch in Beziehung gesetzt. Die Peter-Fechter-Gedenksäule wurde 1999 mit Unterstützung des Axel-Springer-Verlags errichtet. An der Gedenkstele für Gueffroy ist das konservative Zeitungshaus nicht beteiligt. Die Kosten von 26.000 Euro trägt vielmehr das Land, sie werden im Rahmen der Baumaßnahme Mauerweg finanziert.
Die Inititive zu dieser Erinnerung ging von Michael Cramer aus. Der Abgeordnete der Grünen bemüht sich seit Jahren um die Erhaltung von authentischen Mauerresten. Bis 2004 soll der frühere Verlauf der Mauer komplett als „Berliner Mauerweg“ ausgeschildert und als Radweg befahrbar sein. Auf Cramers Antrag beauftragte das Abgeordnetenhaus im vergangenen Jahr den Senat mit der Einrichtung eines Gedenkortes für das letzte Maueropfer. Cramer: „Das Schicksal von Chris Gueffroy bewegt uns auch deshalb so sehr, weil es angesichts der weiteren politischen Entwicklung so tragisch ist.“ Nur wenige Monate später hätte er relativ gefahrlos über Ungarn fliehen können. In der Tat gingen Gueffroy und ein ihn begleitender Freund irrtümlich davon aus, der Schießbefehl an der Mauer sei aufgehoben.
Bei der Gestaltung arbeitete der Künstler mit Karin Gueffroy und mit Michael Cramer zusammen – und mit Thomas Flierl. Der Kultursenator machte sich den Auftrag des Abgeordnetenhauses zum persönlichen Anliegen: „Als PDS-Politiker spüre ich politisch und menschlich eine besondere Verantwortung für das Gedenken an die Maueropfer.“ Flierl beklagt zudem, nach der Wende sei die Mauer voreilig fast komplett entfernt worden– großenteils noch von den ehemaligen Grenzern: „Mit dem Mauerabbau sollte die Geschichte gebannt werden und gleichzeitig die Grenztruppe resozialisiert werden.“ Dies sei verständlich, aber falsch, so Flierl: „In der atavistischen Vorstellung, man könne die Mauer tilgen, indem man sie abreißt, hat man eine Lücke gerissen.“
Die DDR-Behördern erlaubten die Errichtung eines Grabsteins für Chris Gueffroy, den die Mutter bezahlen, nicht jedoch aussuchen durfte. Dort niedergelegte Blumen wurden sofort entfernt. Nach dem Fall der Mauer wurde das Grab mehrfach geschändet und der Grabstein beschmiert. Erst nach einer Strafanzeige hörten die Grabschändungen auf. Im Politbüroprozess Anfang der Neunzigerjahre war Gueffroy unter den zwölf Fällen, die beispielhaft für alle Maueropfer standen. Karin Gueffroy kämpft seit Jahren darum, das Andenken an ihren Sohn auch im öffentlichen Raum wach zu halten: „Dies mit diesem Gedenkort erreicht zu haben, erfüllt mich mit tiefer Zufriedenheit.“