die jazzkolumne
: Post-War: Jazz aus New York, No Jazz aus Paris

Mit dem stimmt doch was nicht!

Die Gitarre ist mit Kuhhautimitat überzogen, der Samplermaschinist trägt die Taucherbrille auf Stirnhöhe, der Manager verteilt Tattoos an die Passanten. Es riecht nach Gully, Müll und Sommer, es ist heiß in Berlin-Mitte. Die Luft steht. Auf einer Freiluftbühne in der Friedrichstraße spielt die Pariser Band No Jazz, eine der angesagtesten Gruppen dieses Jazzjahrgangs, zurzeit auf großer Tour durch Frankreich und Spanien und gebucht für die Jazzfestivals in Salzau (Juli) und Berlin (November). Nicht nur vom Outfit her kontert das Pariser Kollektiv so ziemlich alles, was man sonst so auf den gängigen Jazzbühnen zu sehen bekommt.

Die Instrumentierung mit Sampler, Turntables, Bass, Schlagzeug, Trompete und Saxofon ist im Jazzkontext nach wie vor ungewöhnlich, besonders aber das, was die fünf Musiker daraus machen. Wer den Altersdurchschnitt der Zielgruppe senken will, bucht heute No Jazz, ohne Gefahr zu laufen, dass die Kernkompetenz versagt. No Jazz ist Tanzmusik mit Animateuren, die improvisieren, strukturieren und mixen, als wäre Jazz eine Sache, die man so nebenbei macht. Auf ihrer Web-Seite www.nojazz.net gibt es einen interaktiven Mixer, mit dem man ohne weitere Kenntnisse auch ein eigenes No-Jazz-Remix komponieren, aufnehmen und anhören kann. No Jazz ist Szenemarketing, Antiimage und politisch zugleich.

Na klar ist und war No Jazz auch Anti-War, und vor dem letzten Titel erzählen sie noch schnell, dass sie gerade aus dem Irak zurückgekommen sind, wo sie als menschliche Schutzschilde im Einsatz waren. Dieser Scherz drang zum Straßenfestpublikum in der Berliner Friedrichstraße zwar nicht richtig durch, und es ist zu bezweifeln, dass die Amerikaner darüber lachen können, wenn No Jazz bei ihrer kleinen USA-Tour in der nächsten Woche solche Späße machen sollten.

Der Saxofonist Ravi Coltrane, dessen neue CD „Mad 6“ (Sony) gerade veröffentlicht wurde, geht momentan davon ist, dass der Irakkrieg in den USA als gewonnen gilt und das damit verbundene gesellschaftliche Klima völlig am Boden ist.

Anders als Don Byrons „Music for 6 Musicians“ hat Ravi Coltranes „Mad 6“ allerdings keine politische Konnotation, diese dritte CD mit einigen durchaus hippen Neuinterpretationen von Standards wie „’Round Midnight“ und „Ask Me Now“ ist die bislang klarste und stärkste Einspielung Ravi Coltranes, auch wenn sein aktuelles Material hier nicht die Berücksichtigung fand, die er selbst gern gesehen hätte.

Benannt wurde Ravi Coltrane, der 1965 zwei Jahre vor dem Tod seines Vaters John Coltrane geboren wurde, nach dem in jenen Tagen auch auf den Jazz sehr einflussreichen indischen Sitarspieler Ravi Shankar. Es gibt deutliche Parallelen zwischen den meditativen Exkursionen Shankars und zahlreichen Einspielungen seines Vaters, seine Mutter Alice machte auch nach John Coltranes Tod zahlreiche von Shankars Musik inspirierte Plattenaufnahmen im eigenen Studio.

Für Ravi Coltrane ist New York seit 1991 nach wie vor der Ort, auch wenn gerade wieder mal einige wichtige Live-Jazz-Läden wie „Smalls“ schließen mussten oder wie im Falle der „Knitting Factory“ den Besitzer und das Musikangebot wechselten.

Die gesellschaftlichen und wirtschaftlichen Probleme hingegen seien kaum noch zu ertragen, und seit George Bush habe sich das alles nur verschlechtert, resümiert der Saxofonist in seiner Wohnung im New Yorker Stadtteil Brooklyn, wo er mit Ehefrau und dreijährigem Sohn lebt.

Erst vor einer Woche trat er mit alten Bekannten seines Vaters, Pharoah Sanders und Rashied Ali, im Village-Underground auf. „Nach dem Krieg hat sich die Situation drastisch verschärft – amerikanische Bürger dürfen die Bush-Regierung nicht mehr kritisieren. Das habe ich so noch nicht erlebt. Dieses allgemein verbreitete Gefühl, dass mit dem etwas nicht stimmen muss, der gegen den Krieg redet. Leute, die das dennoch getan haben, verlieren ihre Jobs und Karriereaussichten. Was an den Dixie Chicks oder einigen Hollywood-Schauspielern vorgeführt wird, läuft im normalen Alltag genauso. Dieser Patriotismus ist nicht echt, aber wirksam. Man wird schnell zum Außenseiter, wenn man opponiert.“

CHRISTIAN BROECKING