piwik no script img

Archiv-Artikel

„CDU schafft Ungleichheit“

Brandenburgs Bildungsminister Steffen Reiche (SPD) kritisiert die Union, weil sie die schulpolitische Kooperation von Bund und Ländern aufkündigt. In Deutschland bricht die Kleinstaaterei wieder aus

Interview CHRISTIAN FÜLLER

taz: Herr Reiche, der Streit darüber, wer in diesem Land nun eigentlich für gute Schulen zuständig ist, nimmt kein Ende. Kommende Woche ringen der Bundeskanzler und die Ministerpräsidenten der Länder darum. Wer sollte, Ihrer Ansicht nach den Stich bekommen – der Bund oder die Länder?

Steffen Reiche: Die deutschen Schulen brauchen kein Entweder-oder. Ich finde, wir sollten die Zusammenarbeit zwischen Bund und Ländern für das Lernen und die Schüler verbessern – und nicht etwa abschaffen.

Die Unionsländer wollen das aber. Sie haben die gemeinsame Bildungsplanung aufgekündigt, und sie wollen künftig ganz allein für ihre Bildungseinrichtungen zuständig sein.

Die Union tut sich damit keinen Gefallen. Ihr großer Übervater, Helmut Kohl, hat als Bundeskanzler eine Nationale Akademie der Wissenschaften gefordert. Der wusste, dass auch Bildung und Wissenschaft in einem Bundesstaat unteilbar sind.

Was spricht denn dagegen, klare Zuständigkeiten zu haben – und eine 100-prozentige Kulturhoheit der Länder?

Wir leben in einem Land und nicht in 16 verschiedenen Fürstentümern. Die Möglichkeiten der Kinder und Jugendlichen, ihre Lebenschancen optimal zu nutzen, müssen überall gleich gewährleistet sein – von den Ostfriesischen Inseln über die Uckermark hier in Brandenburg bis nach Garmisch-Partenkirchen. Die Kultusminister, das hat die Pisa-Studie gezeigt, haben zwar eine gewisse Vergleichbarkeit der Schulsysteme in Deutschland hinbekommen. Aber es ist ihr nicht gelungen, die Chancen überall gleichermaßen zu vermehren. Die KMK braucht deshalb den Bund als Partner.

Klingt abstrakt. Wozu brauchen die Länder den Bund als Partner?

Wir können doch nicht den Krümmungsgrad von Essiggurken europaweit regulieren – und in Deutschland 16 verschiedenen Rahmenlehrpläne zulassen. Das will mir nicht in den Kopf. Und auch die Bürger abzeptieren das nicht, schon gar nicht nach dem Pisa-Schock. Die Eltern haben die Zuständigkeitsspielchen satt. In einer Demokratie hat die Politik die Aufgabe, den Willen der Bürger nach guten Schulen zu verwirklichen.

Lassen Sie uns einfach die Beispiele für eine bundesweite Zusammenarbeit betrachten. Die Bildungsstandards, den neuen Renner der Schuldebatte, haben die Länder doch allein auf den Weg gebracht.

Sicher, die Länder wollten solche Standards, also Kompetenzen, die Schüler in Deutschland mindestens erreichen müssen. Ob das wirklich bundesweit Gültigkeit hat, ob es die Schulformen übergreift, wird man sich sehr genau ansehen müssen. Der Bund hat dazu eine wertvolle Zuarbeit geliefert, indem Bildungsministerin Bulmahn das Institut für Internationale Pädagogische Forschung mit einer Expertise beauftragt hat.

Und wie sieht es mit den Ganztagsschulen aus? Da kam der Anstoß vom Bund – und die Länder haben den Begriff bis zur Unkenntlichkeit verwässert.

Die Intitiative des Bundes für Ganztagsschulen war eine ganz wichtige Reaktion auf Pisa. Endlich gab es mal etwas Zählbares. Wir alle müssen nun lernen, uns Stück für Stück von den Elementen der schlechten Schule des 19. Jahrhunderts zu trennen. Wir brauchen eine Reform der Schule im Herzen – in den Lehrformen, in den Inhalten, in den Standards. Auch dazu zwingt uns die Ganztagsschule. Denn die Schwächen der Halbtagsschule dürfen wir keinesfalls auf den ganzen Tag ausdehnen. Wie weit die einzelnen Länder dabei gehen, wird sich ja zeigen.

Kann es vielleicht sein, dass sie deswegen auf den Bundeseinfluss drängen, weil sie mit ihren Schulproblemen nicht alleine fertig werden? Brandenburg hat bei Pisa nicht gerade toll abgeschnitten.

Wir kommen sehr wohl allein zurecht. Aber wir brauchen Abstimmung – sonst kommen wir mit unseren Nachbarn nicht zusammen. Die Lernabstände zwischen guten und schlechten Kitas in Deutschland betragen bis zu einem Jahr, in den Schulen vergrößert sich die Differenz über die Landesgrenzen hinweg auf zwei Jahre. Darf man das etwa tolerieren in einem Staat, wo die Grundrechte für alle gelten?

Klingt gut. Nur kann Ihnen der Bund dabei helfen, ob in einem Dörfchen in der Mittelmark eine Zwergschule stehen soll?

Da kann noch nicht mal ich als Landesbildungsminister helfen. Das muss der Kreis mit seiner Schulentwickungsplanung entscheiden. Ich will ja gar nicht alles an einen mächtigen Zentralstaat delegieren. Ich frage mich nur, ob es sinnvoll ist, dass die OECD mit weltweit vergleichbaren Kompetenzstandards den Pisa-Schulvergleich anstellt – und in Deutschland danach die Kleinstaaterei wieder ausbricht. Anders kann man den Ausstieg der Union aus der Bildungsplanung nicht verstehen. Diese Entscheidung wird die Ungleichheit der Bildungschancen in Deutschland vergrößern.

Die Konferenz der Kultusminister kann der Stein der Weisen nicht sein. Pisa hat diesem Gremium doch den Totenschein ausgestellt.

Das sehe ich ganz anders. Was die KMK nach Pisa geleistet hat, ist außerordentlich. Die Kultusminister haben ja schon vor Pisa etwas getan. Sehen Sie das Forum Bildung an. Oder die Arbeit an gemeinsamen Bildungsstandards. Das sind Quantensprünge.

Stimmt, das hätte der KMK niemand zugetraut. Trotzdem besteht Reformbedarf: Es müssen auch mal Entscheidungen fallen.

Wir Kultusminister dürfen unser Tempo nicht nach dem langsamsten Bundesland ausrichten. Vielleicht sollten wir auch auf das Einstimmigkeitsprinzip verzichten. Die KMK sollte künftig den Wettbewerb der Besten organisieren, anstatt das Rad 16-mal neu zu erfinden.

Sie können Witze machen. Die Leute sehen das ganz anders. Bei einem Wettbewerb hat sich ein Schüler vergangene Woche darüber echauffiert, dass es überall im Land Reförmchen gebe – aber Richtung und Idee der Schulreformen nach Pisa nicht erkennbar seien.

Meine Beobachtung sagt mir, dass das nicht stimmt. Ich glaube sehr wohl, dass es eine Richtung gibt. Nur können die Bürger bei einem 16-stimmigen Chor, wie es die Konferenz der Kultusminister ist, nicht erkennen, wohin die Reise geht. Die Eltern haben aber ein Recht darauf, das zu erfahren.