ITALIEN: DIE GLEICHHEIT VOR DEM GESETZ IST VORBEI
: Berlusconi wird weiterfummeln

„Gleiches Recht für alle“ – dieses Diktum, das in allen italienischen Gerichtssälen prangt, ist von jetzt an überholt. Das Gesetz, das die Abgeordneten durch die Kammer winken werden, schafft für die Inhaber der fünf höchsten Staatsämter ein Sonderrecht, man könnte auch sagen: einen Freifahrtschein. Selbst wenn sie die Schwiegermutter erschlagen hätten, müssten sie nicht mehr vor Gericht, wenigstens so lange nicht, wie sie dem Staat in wichtiger Funktion dienen.

Allerdings haben weder das Staatsoberhaupt noch die Ministerpräsidenten noch der Chef des Verfassungsgerichts Ärger mit der Justiz. Von dieser Norm profitiert nur einer. Ministerpräsident Berlusconi wird, ganz kurz vor der heftig befürchteten Verurteilung, seinen Prozess wegen Richterbestechung los. Bizarr die Begründung für das eiligst verabschiedete Gesetz: Es gelte Schaden vom Land abzuwenden – denn wie stünde Italien da in der Welt mit einem zu hoher Gefängnisstrafe verknackten Premier?

Einer, der das ehrlich glaubt, ist der honorige Staatspräsident Carlo Azeglio Ciampi. Er wird das Gesetz abzeichnen, weil er hofft, Italien könne durch die Beendigung des Dauerkriegs zwischen Berlusconi und der Justiz im Innern befriedet und im Ausland vor irreparablen Imageschäden bewahrt werden. Eine trügerische Hoffnung.

Denn nun steht Italien als Land da, in dem sich ein Milliardär mit Justizproblemen auf die Politik wirft und seine große Schar von Anwälten ins Parlament wählen lässt, damit sie ihm in Rom die Gesetze maßschneidern, wenn sie ihn nicht gerade in Mailand vor Gericht verteidigen. Als Land, in dem ein Berlusconi sich nach einem theatralischen Auftritt vor Gericht noch schnell von den ihm gehörenden Medien einen Freispruch erteilen lassen kann. Als Land, in dem seine willfährige Parlamentsmehrheit zur Vollstreckung dieses Urteils per Suspendierung seines Prozesses schreitet. Kurz: als Land, in dem der Regierungschef nun nicht mehr bloß faktisch, sondern auch formal über dem Gesetz steht.

Das wäre fast schon eine gute Nachricht – wenn Berlusconi nun endlich aufhören würde, noch weiter an der Rechtsordnung herumzufummeln. Doch ihm reicht es nicht, dass er selbst nun auf der sicheren Seite ist. Auch einige ihm geschäftlich wie politisch befreundete Mitangeklagte sollen rausgepaukt werden – und schließlich gilt es vor allem, ein für allemal mit der unbotmäßigen dritten Gewalt abzurechnen. In diesem ehrgeizigen Projekt ist das „Rettet Berlusconi“-Gesetz von heute nicht das Ende, sondern bloß der bescheidene Anfang auf dem Weg zur Ausschaltung einer unabhängigen Justiz in Italien. MICHAEL BRAUN