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Archiv-Artikel

Rufer aus den Ruinen

Kulturpessimismus oder Vorhersehung? Die Ausstellung „Kassandra. Visionen des Unheils 1914–1945“ im Deutschen Historischen Museum zeigt düstere Bilder, die als Kriegsvisionen erschienen

VON RONALD BERG

Niemand in Deutschland konnte sich den kommenden Krieg vorstellen: Man ritt mit gezogenem Säbel in die Schlacht und wurde am Ende von britischen Tanks überrollt.

Auch die Künstler zeigen in ihren Vorahnungen des Ersten Weltkriegs nicht die Wirklichkeit von Stellungskrieg und Giftgaseinsatz. Arnold Böcklin lässt apokalyptische Reiter die Lüfte durchqueren. Der Vorentwurf für das Gemälde über den „Krieg“ stammt bereits aus dem Jahr 1896 und zeigt Ritter, Tod und eine nackte Furie. Auf einem kurz vor Kriegsausbruch fertiggestellten Gemälde von Magnus Zeller wüten die Reiter bereits in den Ruinen der Städte.

Viele Künstler im Vorfeld des Weltkrieges ahnten offenbar den bevorstehenden Krieg, stellen ihn aber noch in überlieferten Formen dar: den Tod als Schnitter und Gerippe, die überlebenden Krieger als Krüppel voller Blut und Wunden.

Auf eine Vielzahl solcher Visions- und Mahnbilder stieß Stefanie Heckmann im letzten Jahr bei der Recherche zur Ausstellung „Kunst und Propaganda“. Damals ging es im Deutschen Historischen Museum hauptsächlich um die Selbstdarstellung der Diktaturen im Europa der Dreißigerjahre. Aus einem Seitenzweig, nämlich der Rolle der Künstler als Mahner vor dem Krieg, entwickelte Heckmann nun eine mit 350 Werken auf tausend Quadratmetern große und eigenständige Schau.

Der Erste Weltkrieg gibt hier eigentlich nur den „Prolog“ ab. Denn im Mittelpunkt der sieben Kapitel der Schau steht die Zwischenkriegszeit in Deutschland, vom Ende des Ersten bis zum Beginn des Zweiten Weltkrieges. Auch für die erneute Katastrophe des Zweiten Weltkrieges gab es in der Kunst genügend Warner und Mahner, darunter prominente Vertreter wie Max Ernst, George Grosz, John Heartfield oder Paul Klee.

Die modernen Künstler des 20. Jahrhunderts scheinen also in die Rolle der mythischen Seherin geschlüpft. Bekanntlich war Kassandra jene Frau, die den Untergang Trojas richtig vorausgesagt hatte, auf die aber niemand hören wollte. Trotz der plakativen Anrufung Kassandras im Ausstellungstitel erklärt Heckmann, die Ausstellung gehe nicht davon aus, dass Künstler wirklich Seher oder Propheten seien.

Die Visionen des später tatsächlich eintretenden Unheils, so ist es im dickleibigen Katalog nachzulesen, gelten für Heckmann zum Zeitpunkt ihrer Entstehung entweder als subjektive Gefühlsempfindungen oder als aus den gesellschaftlichen und politischen Umständen abgeleitete Einschätzung der kommenden Lage.

Wenn also die Kriegs- und Schreckensbilder im Vorfeld der beiden Weltkriege nicht aus prophetischer Gabe heraus entstanden sind, dann zeigt die Ausstellung eigentlich nur die ziemlich pessimistische Weltsicht einiger Künstler aus der ersten Hälfte des 20. Jahrhunderts. Dass diese Künstler nicht unbedingt repräsentativ für das künstlerische Schaffen der Epochen waren, muss man sich selber denken.

Dabei gab es nach dem Ersten Weltkrieg nicht nur (kultur-)pessimistische Miesmacher, die den Untergang des Abendlandes zur ausgemachten Sache erklärten, sondern auch Optimismus, zukunftsfrohe Visionen einer besseren Welt und – zum ersten Mal – eine demokratische Gesellschaftsordnung. Zudem kam ein ungeheuerer Aufbruch in der Kunst: Expressionismus, Konstruktivismus, Surrealismus, Neue Sachlichkeit und Dada waren im Angebot. Von alldem bekommt man im DHM nichts mit.

Auch die goldenen Zwanziger sehen hier öde aus. Etwa bei Jakob Steinhardt, der 1927 seinen duldenden „Hiob “ neben einem verdorrten Baum unter sengender Sonne zeichnet. Steinhardt hatte immerhin wohl noch etwas Hoffnung, da nach biblischer Überlieferung auch für Hiob nach Ende der Durststrecke alles gut wurde.

Solches Gottvertrauen findet sich bei Karl Hofer nicht. Schon 1937 kriecht auf seinem Bild ein nackter Mann aus Ruinen – eine Vorahnung, die den aus dem Staatsdienst entlassenen und als „entartet“ diffamierten Hofer auch persönlich treffen sollte. 1943 wurde sein Atelier zerbombt, und er verlor 150 Gemälde und über tausend seiner Zeichnungen. Hofers Bild „Kassandra“ von 1936 ist so etwas wie der emblematische Mittelpunkt dieser Ausstellung.

Die in düsteren Farben gehaltene Frauenfigur mit der zur Stirn gehobenen Schwurhand wirft noch eine allgemeinere, geschichtsphilosophische Fragestellung auf: Lässt sich Geschichte überhaupt vorhersagen? Hätte die Katastrophe des Zweiten Weltkrieges nicht vermieden werden können? Und hätten sich dann nicht alle die in dieser Ausstellung versammelten Künstler geirrt?

Hofer erklärte sich jedenfalls erst zwei Jahre nach Ende des Zweiten Weltkriegs „zum geistigen Seismograf, der das Unheil vorausgesehen hatte“. Aber Hofer – wie all die anderen Kulturpessimisten von rechts und Mahner vor dem Hitlerstaat von links – sollte Recht behalten. Die Katastrophe kam, und sie war schlimmer, als man es sich vorstellen konnte. Am Ende des Zweiten Weltkrieges blieb vielen Künstlern nur übrig, das Leid religiös-mythisch zu überhöhen, in der immer wiederkehrenden Trümmerkulisse und vielfach auch wieder mit Hiob in der Hauptrolle – etwa bei Francis Huber.

Nur A. Paul Weber reagierte mit Sarkasmus: „Deutschland erwache!“, zitiert Weber im Titel einer seiner Grafiken den Spruch der Nazis, nur betrifft er hier eine Reihe von Gestalten, die ihren Kopf in den Sand gesteckt haben. Im Grunde beginnt hier bereits die Nachkriegszeit und damit das Verdrängen und Vergessen der Nazi-Zeit. Doch das liegt schon außerhalb des Ausstellungsthemas.

Deutsches Historisches Museum, Unter den Linden, 2. bis 22. Februar 2009. Katalog 30 Euro