: Kinderfreunde haben erfolgreich aufgemuckt
In Sachsen-Anhalt glückt ein Volksbegehren gegen Kita-Kürzungen. CDU-Regierung gibt fehlerhafte Politik zu
DRESDEN taz ■ Sachsen-Anhalts Landeswahlleiter Paul-Uwe Söker beendete am späten Dienstagnachmittag endlich das Zittern des „Bündnisses für ein kinder- und jugendfreundliches Sachsen-Anhalt“. Das vom Bündnis initiierte Volksbegehren für eine Wiederherstellung früherer Standards bei der Kinderbetreuung war knapp erfolgreich.
Nach dem vorläufigen Ergebnis sammelte es bis Februar dieses Jahres gerade 2.300 gültige Unterschriften mehr als das verfassungsgemäße Quorum von 250.000. Der Erfolg der Unterschriftensammlung war in Gefahr, als bei der Auszählung aus Magdeburg der hohe Anteil von 17 Prozent ungültiger Stimmen bekannt wurde. Auch die noch ausstehende Überprüfung von neun Verwaltungsgemeinschaften kann das Ergebnis nun nicht mehr revidieren. Damit ist zum ersten Mal in Sachsen-Anhalt ein Volksbegehren erfolgreich.
Der Landtag muss sich innerhalb von drei Monaten mit dem alternativen Gesetzentwurf der Initiative befassen. Lehnt er ihn mit seiner regierungstragenden CDU-FDP-Mehrheit ab, kommt es zu einem Volksentscheid. Ausgangspunkt der Protestaktion war eine vom Landesgesetzgeber im Vorjahr beschlossene Einschränkung beim Recht auf ganztägige Kinderbetreuung. Das arme Sachsen-Anhalt hatte sich unter der SPD-Regierung die bundesweit höchsten und an früheren DDR-Normen orientierten Standards geleistet. So hatten auch Krippenkinder ein Anrecht auf einen Ganztagsplatz. Die CDU-Regierung Böhmer wollte diesen für alle Kinder auf berufstätige Eltern beschränken. Wenn ein Elternteil zu Hause ist, sollten Kinder maximal fünf Stunden betreut werden dürfen. Damit hätte das Land 45 Millionen Euro sparen können. Solche Einschränkungen hat mittlerweile die Mehrzahl der Kommunen in Sachsen durchgesetzt. Ein breites Bündnis von Eltern, Sozialverbänden, Parteien, Kirchengruppen und Gewerkschaften rebellierte dagegen. Trotz zahlreicher Behinderungen gelang der „Kraftakt“, wie die PDS-Landesvorsitzende Rosemarie Hein formulierte.
Wenig berechenbar hatte sich die SPD gezeigt, die dem Kita-Gesetz zunächst zugestimmt hatte, später aber auf die Protestlinie einschwenkte. Auch die CDU-Fraktion des Landtages hatte nach Abschluss der Sammlung von 275.000 Unterschriften im März „Fehler bei der Umsetzung des Gesetzes“ eingeräumt. Noch vor Bekanntgabe des vorläufigen Ergebnisses zeigte das Volksbegehren aber Einfluss auf die Regierungspolitik. Ministerpräsident Wolfgang Böhmer und CDU-Fraktionschef Jürgen Scharf kündigten eine neue Familienpolitik an. Angeregt werden ein Landeserziehungsgeld von 400 bis 500 Euro, ein Familienpass, ein „Landesbündnis für Familie“ und sogar Betriebskindergärten. Gut gemeinte Bestrebungen gehen dahin, Familienfreundlichkeit zum Bestandteil einer Unternehmensphilosophie zu machen. Die Finanzierung ist allerdings völlig unklar. Wie in Thüringen auch, haben alle vier Landtagsfraktionen inzwischen einen verfassungsändernden Kompromiss vereinbart, der das hohe Quorum für Volksbegehren senken soll.
MICHAEL BARTSCH