normalzeit : HELMUT HÖGE über gute Vorsätze
„Ja, mach nur einen Plan, sei nur ein großes Licht und mach dann noch ’nen zweiten Plan, gehn tun sie beide nicht“ (Bertolt Brecht)
Die Menschen sind zum Jahresbeginn noch ganz voll von ihren guten Vorsätzen. Bei Hartz-IVlern sind das nicht selten Geschäftsideen, also Pläne und Projekte, um sich selbständig zu machen. Im Neuköllner Salon Petra, der selbst eine halbe Existenzgründung ist – von zwei Buckower Geschwistern, meinte Sabine, als ich den berühmten Spruch von KPD/RZ-Mitbegründer Mao Meyer „Too old to die young“ fallen ließ: „Oh, den schreib ich mir auf. Meine Freundin und ich, wir wollen nämlich T-Shirts bedrucken und die dann verkaufen, haben aber noch nicht genug Ideen dafür.“ Als Ralph im Gespräch über verbotene Silvesterknaller aus Polen auf die von der Bundesanstalt für Materialprüfung (BAM) zertifizierten Feuerwerkskörper zu sprechen kam, die allein erlaubt sind, fasste er das in dem Satz zusammen: „Also, kein Bum ohne Bam!“ – „Wunderbar,“ rief Claus, „das schreib ich mir auf, vielleicht kann man den Satz als Werbung an eine Knallerfabrik verkaufen …“ Seine Freundin Christa, deren Mutter kürzlich starb und die deswegen oft auf dem Friedhof war, will dort in der Nähe ein „Witwen-Café“ aufmachen, „das fetzt“. Denn sie hat herausbekommen, dass sich fast täglich „unheimlich viele Frauen“ auf dem Friedhof treffen, deren Männer dort liegen: „Die sind alle saugut drauf, gehören aber zu einer Generation, die sich noch nicht traut, einfach in eine Kneipe zu gehen.“
Im Café Jenseits am Heinrichplatz, Existenzgründung eines ehemaligen Clowns aus der DDR, wird fast nur noch über Projekte geredet: Da ist zum einen die „Künstlerverschickung ins sibirische Tscheljabinsk“, für die Peter schon seit Jahr und Tag versucht eine Förderung aufzutun. Und zum anderen der Künstler Fritz, der bereits 250.000 Euro zusammenbekommen hat, um eine Gruppe von Künstlern in einem White Cube in einer Tupolew der Schwerelosigkeit auszusetzen, wobei sie einige berühmte Bildszenen nachstellen sollen. Ihm fehlen aber noch einmal so viele Euros für die Bezahlung des Flugs.
In der Respect-Bar, die vor allem von Frauen mit einem Faible für Afrikaner frequentiert wird (deswegen der „respect“ mit tiefem „c“ im Barnamen), drehen sich die Gespräche zwar auch oft um „Projekte“, doch meistens um Hilfsprojekte, die eher was kosten, als was einbringen: etwa das Einsammeln von gebrauchtem Werkzeug für eine Berufsschule im Senegal oder das Besorgen von ausrangierten Spielplatzgeräten für fünf Spielplätze in Gambia. Neulich brachte Jörg allerdings ein ganz anderes Thema dort auf: „Ich habe gerade einen Job in 61,“ sagte er, der in SO 36 aufwuchs und immer noch dort wohnt. „Ihr glaubt’s nich, die sagen dort zum Abschied ‚Tschüssi‘!“ – „Is wahr?!“ Man wollte es kaum glauben. Die Wirtin fasste sich als Erstes: „Wenn einer das bei mir hier sagen würde, würde ich ihn glatt rausschmeißen!“ Das fand Jörg etwas übertrieben, aber man kam überein, dass die da in 61 ganz anders ticken als in 36, also „eine ganz andere Kultur“ hätten – und dass man deswegen auch nicht zusammenkommen könne, was wiederum bedeute, dass man dort vernünftigerweise auch kein „Projekt“ upstarten sollte. Jörg entschuldigte sich damit, dass das Arbeitsamt ihn dahin vermittelt hätte – gegen seinen Willen quasi. Seine Sachbearbeiterin hätte ihn mit den Worten verabschiedet: „Wir müssen alle Opfer bringen.“
Im Advena, einer Existenzgründung von Ali und seiner Frau, erfuhr ich von Jens, er hätte nun endgültig die Schnauze voll von den 1-Euro-Jobs des Arbeitsamtes, und deswegen habe er sich ein Indoor-Gewächshaussystem gekauft, gebraucht für 400 Euro. Damit wolle er jetzt Marihuana züchten und sich so selbstständig machen. Er hat bereits alles ausgerechnet: Von zwei Ernten im Jahr könne er gut leben – „und dann goodbye, Arbeitsamt!“ Mich fragte er, ob ich nicht Kunde bei ihm werden wolle, er würde ein Supergras anbieten. Dabei hatte er noch nicht mal den Samen dafür gekauft, geschweige denn eingesät.