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Archiv-Artikel

Joint Venture gegen Globalisierungskritiker

Die deutsche Justiz ermittelt in Amtshilfe gegen elf AktivistInnen, die 2001 in Schweden demonstrierten

BERLIN taz ■ Zwei Jahre nach den Protesten gegen den EU-Gipfel in Göteborg ermittelt die deutsche Justiz in Amtshilfe für ihre schwedischen Kollegen noch immer gegen Globalisierungskritiker aus ganz Deutschland. Von elf laufenden Ermittlungsverfahren in sechs Bundesländern berichteten Verteidiger und Betroffene am Montag in Berlin. In zwei Fällen verhängten Gerichte in Berlin und Bremen „auf einer fragwürdigen rechtlichen Basis,“ wie Wolfgang Kaleck, Vorsitzender des Republikanischen Anwaltsvereins, betont, Haftstrafen auf Bewährung.

Den 24-jährigen Germanistikstudenten Timm K. verurteilte das Landgericht Berlin im März wegen „schweren Landfriedensbruchs“ und „versuchter gefährlicher Körperverletzung“ zu einer Freiheitsstrafe von zwei Jahren auf drei Jahre Bewährung. Der Vorwurf: Timm K. habe bei einer Anti-Gipfel-Demonstration Steine auf eine Bank und Polizeibeamte geworfen. Der bis dato unbescholtene Student erfuhr erst Anfang Januar, dass gegen ihn wegen seiner Teilnahme an den Protesten in Göteborg ermittelt wurde. Da durchsuchten Berliner Polizisten seine Wohnung, ein Haftrichter ordnete 34 Tage Untersuchungshaft an.

Im Mai vergangenen Jahres hatte die Göteborger Staatsanwaltschaft nach beendeter Auswertung von hunderten Stunden Videomaterial und Personenkontrolldaten ihre Ergebnisse an die deutschen Strafverfolger weitergeleitet. Die Behörden gehen davon aus, dass der deutsche Straftatbestand „schwerer Landfriedensbruch“ mit dem schwedischen „gewalttätigen Aufruhr“ gleichzusetzen ist und die Prozesse deshalb in Deutschland geführt werden können.

Das hält Rechtsanwalt Wolfgang Kaleck für fragwürdig. Er kritisiert, die deutschen Staatsanwaltschaften würden das übersandte Beweismaterial – zumeist Videoaufnahmen von Krawallsituationen – nicht sorgfältig auf Widersprüche prüfen. Die stecken wie so oft im Detail: So behauptet die Staatsanwaltschaft, dass Steine in Heckscheiben von Polizeiautos geflogen seien, Videos zeigen dagegen eine zerbrochene Frontscheibe. Bedenklich sei auch, dass die Verteidigungsmöglichkeiten erheblich eingeschränkt seien, weil die Betroffenen im Falle einer Verurteilung sämtliche Reise- und Unterbringungskosten für die schwedischen Zeugen der Anklage übernehmen müssten. Im Fall von Timm K. bot die Staatsanwaltschaft zwölf Zeugen auf – mit zwei Ausnahmen allesamt schwedische Polizeibeamte. Deren schriftliche Aussagen hatten wenig Bezug zum Tatvorwurf, beschrieben aber in dramatischem Tonfall den Göteborger „Ausnahmezustand“.

Für die 26-jährige Monica K. haben die schwedisch-deutschen Joint-Venture-Ermittlungen schon jetzt Konsequenzen. Zu den Protesten gegen den G-8-Gipfel in Genua durfte die Berlinerin aufgrund eines Ausreiseverbots der Innenbehörde gegen vermeintlich gewaltbereite Demonstranten nicht fahren. Stattdessen musste sie sich täglich bei der Polizei melden. Eine Entscheidung, die im Nachhinein vom Verwaltungsgericht Berlin zwar für rechtswidrig befunden wurde, allerdings knapp zwölf Monate zu spät. HEIKE KLEFFNER