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Archiv-Artikel

Bus und Bahn am Wendehammer

Das Zukunftsforum Ruhrgebiet ist sich einig: Nur wenn in den Nahverkehr investiert wird, hat das Revier eine Chance als Wohngebiet und Wirtschaftsraum. Dabei machen Kommunen schrumpfende Einwohnerzahlen zu schaffen

„Bei dem Einwohnerrückgang müssten 600 Millionen Euro gespart werden, um den nahverkerh so zu erhalten“

Bochum taz ■ Das Ruhrgebiet ist in Gefahr, sein dichtes Netz im Nahverkehr zu verlieren. Das „Zukunftsforum Ruhrgebiet 2030“ des Kommunalverbandes Ruhrgebiet (KVR) gestern in Bochum will neue Wege finden, Bus- und Straßenbahnlinien zu erhalten und noch mehr Fahrgäste zu befördern. „Nur mit einer erhaltenen und sogar verbesserten Infrastruktur können die BürgerInnen an Wirtschaft, Freizeit und Tourismus teilnehmen“, sagt Dieter Hötker, Beigeordneter des KVR.

Der Nahverkehr wird nach Ansicht der Experten wichtiger denn je: Mit der EU-Erweiterung am morgigen Samstag werden die Straßen gerade im Ruhrgebiet zur Transitstrecke von LKW aus dem Osten. Und viele Personen, die hier unter der Agenda 2010 oder Arbeitslosigkeit leiden, sind zunehmend auf Bus und Bahn angewiesen, weil sie sich ein Auto nicht mehr leisten können. Trotzdem sieht die Zukunft zur Auto-Alternative düster aus: „Die bisherige finanzielle Förderung des Bundes fällt weg“, sagt Hermann Zemlin, Nahverkehrsexperte und Vorstandsvorsitzender der Stadtwerke Bonn. Dies sei eine absolute Kehrtwende in der Verkehrspolitik. Deswegen könnten die Fahrtakte nicht mehr dichter werden und in vielen Städten falle die kostenlose Beförderung von Behinderten und Schulkindern weg. „Das kann nicht gewollt sein“, sagt Zemlin. Er schlägt vor, in ländlichen Gebieten Busse nach Bedarf einzusetzen und die 19 Verkehrsbetriebe des Verkehrsverbundes Rhein-Ruhr zu sechs Betrieben zusammenzufassen.

Martin Junkernheinrich von der Technischen Universität Cottbus hat noch drastischere Forderungen an das Ruhrgebiet. „Bei dem erwarteten massiven Bevölkerungsrückgang müssten die Ruhrkommunen 600 Millionen Euro einsparen um den Standard zu halten“, sagt Junkernheinrich. Dabei seien den Kommunen enge Grenzen des Sparens gesetzt. „Sie können ja nicht einfach die Sozialhilfe kürzen oder Straßen stilllegen.“ Junkernheinrich schlägt vor, Personal zu entlassen, Weihnachtsgelder der Beamten und Beamtinnen zu streichen, bei der Kultur zu sparen. „Brauchen wir in jeder Ruhrkommune ein Musiktheater?“, fragt er. Aber auch die Verkehrsbetriebe selbst sollten sparen, zum Beispiel durch Zusammenarbeit zwischen den Kommunen. Für Junkernheinrich drängt die Zeit. „Wir müssen jetzt eingreifen, sonst sind wir nur noch ein Opfer der Entwicklung“, warnt er.

Sigurd Trommer, Stadtbaurat in Bonn, sieht hingegen alles optimistisch. „Nach der Hauptstadtentscheidung für Berlin haben wir uns dagegen gewehrt, uns zurecht zu schrumpfen.“ Alles sei „auf der zwischenmenschlichen Ebene geregelt“ worden, sagt Trommer. Durch viel Kommunikation mit kleineren Städten und durch gemeinsam gefeierte Erfolge habe man regionale Verkehrsprogramme auf die Beine gestellt. Der gemeinsame „Verkehrsverbund Rhein-Sieg“ sei jetzt die beste regionale Kooperation in Nordrhein-Westfalen. „Heute leben in der Region 100.000 mehr Bürger und damit Nahverkehrsnutzer.“

Diesen Optimismus kann Herwig Birg vom Bielefelder Institut für Bevölkerungsforschung nicht teilen. „In der Demographie gibt es kein Potenzial.“ Insgesamt schrumpfe die Bevölkerung unweigerlich. „Wenn Bonn wächst, dann nur auf Kosten anderer Regionen.“ ANNIKA JOERES