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Archiv-Artikel

Die aufgesperrte Tür

Hauptfigur der No Wave, Meistersängerin des Proto-Goth, Poetin und Schauspielerin: Das 25. Jahr ihrer vielseitigen Karriere begeht Lydia Lunch mit einer Jubiläumstournee – am Dienstag ist die New Yorkerin mit Band im Logo zu Gast

„Ich dachte, Punk wäre lausige Chuck-Berry-Musik, aufgemotzt und dreimal so schnell“

von LARS BRINKMANN

Eigentlich (!) habe ich diesen Auftrag nur angenommen, um deutlich zu machen, dass es sich bei 13.13 um eines der besten Alben in der langen Karriere von Lydia Lunch handelt. Auf diese Gelegenheit warte ich seit 21 Jahren, seit damals irgendeiner aus der herrschenden Sounds-Garde (ich kenn‘ euch alle!) despektierlich über dieses Jahrzehntwerk schrieb. Ich meine mich an den Begriff „Heavy Metal“ zu erinnern, aber damit wollten sie ja auch schon Bauhaus beikommen. Die Intellektuellen haben den frühen Goth doch gar nicht begriffen – bis auf längst vergessene Schreiber-Helden wie Hans Keller, die in der einen Ausgabe den Decadence-Dichter Joris-Karl Huysmans vorstellen und für die nächste Lydia Lunch in New York besuchen durften. So entstehen kleine Kosmen.

Bei alle Liebe zu Huysmans erscheint mir Lydia Lunch seit 1982 mit dem dunklen Drum-Roll von „Lock Your Door“, mit diesem unheilschwangeren, apokalyptischen Beckenschlag – Begleitband waren auf 13.13 übrigens die Weirdos ... aber ich schweife ab; ich gebe dem heißen Sommer und H. P. Lovecraft die Schuld daran, dass gleichsam ein Bild von Fischmenschen heraufzieht, wenn ich das Lied höre. Wie gesagt: tolle Platte, und nun zum Pflichtteil.

Wie Kim Gordon (Sonic Youth) und Wendy O. Williams (Plamatics) in Rochester aufgewachsen, zog es die 1959 geborene Lydia Koch als Minderjährige nach New York City. Obwohl die frühe CBGB‘s-Clique um Tom Verlaine, Richard Hell und Patti Smith sie inspirierte, wollte sich Lunch schnell von dieser örtlichen Proto-Punk-Szene abgrenzen: Die Musik ging ihr nicht weit genug, war noch zu sehr im Rock‘n‘Roll verhaftet. Erstmals 1978 auf Brian Enos Compilation No New York zu hören, sorgte Lunch bereits mit ihrer ersten Band Teenage Jesus & The Jerks für destruktive Impulse. Für sie und die anderen dort dokumentierten Bands, DNA, Mars und die Contortions, wurde der Begriff „No Wave“ geprägt: eine Mischung aus munterem Dilettantismus, aufwühlender Polyrhythmik und einem Quentchen Free Jazz.

In einem Interview erinnert sich Lunch zwei Jahrzehnte später: „Punk hat mich nie interessiert. Es kommt darauf an, was ‚Punk‘ sein soll – eine Attitüde oder ein Fashion-Statement oder lausige Drei-Akkorde-Musik. (...) Ich dachte, Punk wäre lausige Chuck-Berry-Musik, etwas aufgemotzt und dreimal so schnell. Ich mochte die Akkordfolge nicht – beziehungsweise, dass sie überhaupt Akkorde benutzten. Die Sex Pistols oder The Clash sind für mich wirklich Rock-Bands. Der grosse Unterschied war, dass sich die No-Wave-Bands dem persönlichen Wahnsinn widmeten, während englischer Punk eher am sozialen Wahnsinn interessiert war. Das unterschied zu dieser Zeit die New York-Szene von jeder anderen. Keiner hatte so etwas wie ein soziales Bewusstsein. Wir waren viel zu sehr damit beschäftigt, zu überleben.“

Die frühen 80er waren mit Alben wie der Lounge-Demontage Queen of Siam und besagtem Goth-Meisterwerk 13.13 sowie den anschließenden Kooperationen etwa mit Birthday Party, Einstürzende Neubauten, Foetus oder Die Haut zumindest musikalisch Lunchs produktivste Phase. Für Beachtung sorgte danach nur noch Harry Crews, ihre kurzlebige Band mit Kim Gordon und Sadie Mae. Dann, nach Musik und Film (unter der Regie von Richard Kern) sollte alle Macht dem Wort gehören.

In den 90ern konnte Lydia Lunch also hauptsächlich mit ihren Spoken-Word-Performances und diversen Print-Veröffentlichungen auf sich aufmerksam machen. Darum darf ihrem jetzt bevorstehendem Gastspiel eine besondere Rolle eingeräumt werden: Unterstützt von „Music Director“ Nels Cline und New Yorks feinsten Noise-Rockern, darunter der wohl derzeit beste und schönste Schlagzeuger Vinnie Signorelli sowie Norman Westerberg und Algis Kizys, die allesamt aus dem eng verbandelten Swans-Kosmos stammen, bringt Frau Lunch unter dem Titel „Willing Victim“ eine „Sonic Apokalypse in 5 Movements“ zur Aufführung. Dafür hat sie Songs aus ihrer 25-jährigen Karriere „wieder erschaffen“ – darunter auch „Lock Your Door“. Erwähnte ich schon, dass es sich bei der Originalaufnahme um eine der gewaltigsten und unheimlichsten Aufnahmen der 80er handelt? Be there or be square.

Dienstag. 21 Uhr, Logo