: Nur die Musik ist kein Schrott
Die Band „HotSchrott“ vom Osdorfer Born holt sich ihre Musikinstrumente vom Müllplatz und probt im Fahrradkeller. Das macht nicht nur Spaß, sondern ist auch sozialpädagogisches Konzept
Von Tonio Postel
Diese Orchesterbühne sieht ungefähr so aus: Mehrere Einkaufswagen mit blauen Benzinkanistern stehen herum, daneben liegen eine verbeulte Autotür und ein Halteverbots-Schild sowie eine Leiter und ein paar große Fässer. Vier Mädchen und vier Jungs streifen zwischen dem Müll umher. Sie sind gekommen, um für ihren nächsten Auftritt zu proben. Was aber außer Lärm und einem Fiepen im Ohr soll dabei herauskommen, wenn acht Jugendliche auf Schrott eindreschen? Musik natürlich.
Die Band heißt HotSchrott. Sie kommt aus dem Osdorfer Born, und sie macht aus der Not eine Tugend, indem sie sich ihre „Instrumente“ vom Schrottplatz holt. Die meisten Menschen in dieser Altonaer Großwohnsiedlung haben kein Geld für Geige, Klavier oder Schlagzeug. Denn jede zweite Wohnung ist hier eine Sozialwohnung, die Arbeitslosenquote am Osdorfer Born liegt mit neun Prozent immerhin zwei Punkte über dem Hamburger Durchschnitt. Das Etikett vom sozialen Brennpunkt klebt hier ganz fest an der Siedlung.
Heute ist die letzte Probe in dem ehemaligen Fahrrad-Laden zwischen den bis zu 17 Stockwerken hohen Häusern. Der Mietvertrag sei gekündigt worden, berichten die Musiker, jetzt ziehgen sie eben in ein „Kellerloch“ unter die Geschäfte des nahen Born-Center.
HotSchrott ist ein Projekt der Hamburger Bürger Stiftung, die sich zum Ziel gesetzt hat, „Menschen zu aktivieren, die sich mit Lust am Gemeinsinn für ihre Stadt einsetzen wollen“. Neben Jugendprojekten fördert die Stiftung unter anderem in den Bereichen Bildung, Umwelt und Kultur. Jeder, so die Bürgerstiftung, ist dabei eingeladen, sich zu engagieren – etwa mit Ideen und Konzepten, Know-how oder Spenden. Dabei arbeitet die Gemeinschaftsstiftung nur mit den Erträgen, sodass das gestiftete Geld nie verloren geht.
Und dann geht die Musik los: Jedes Bandmitglied hat sich an seinem Instrument postiert, und Profimusiker Bernhard Prodoehl, der die Gruppe zusammen mit dem Musiker Christian von Richthofen betreut, gibt durch langsame Schläge auf ein blaues Plastikfass den Rhytmus vor. Die Musiker sind konzentriert und begleiten, bis der erste Stock zerbricht. Obwohl die Band harmoniert, sind die Musiker unzufrieden: „Schlimmer kann es nicht mehr werden“, sagt einer in der Pause frustriert. „Sagt mir doch mal, ob wir mit Metall oder Plastik anfangen“, ärgert sich ein anderer. Der Ehrgeiz ist schon professionell: Perfekt wollen sie spielen, haben sie doch einen Ruf zu verlieren.
Eines der zehn Stücke im musikalischen Repertoire der 12- bis 19-Jährigen heißt „Copkiller“ und beginnt mit einem Schrei, den ein Mädchen aus voller Kehle ausstößt. Als die Band sich warmgespielt hat, beginnen Hände und Füße der Zuhörer langsam, zu den wuchtigen Beats zu klopfen und zu trommeln. Elektrische Verstärker braucht die Band nicht, die Schrottakustik ist laut genug. Manchmal, in ihren besten Momenten, erinnert sie gar an brasilianische Samba-Klänge.
Die Idee zur Gründung einer Band aus Jugendlichen im Osdorfer Born hatte die Bürgerstiftung. In den ersten Jahren wurden das Projekt mit damals noch 100.000 Mark gefördert. Heute gibt es kaum noch Unterstützung, weil die Band bei ihren Auftritten „genug verdiene“, sagt Klaus Rollin, Vorstandsmitglied und einer der Mitbegründer der Stiftung. „Wir überlegten, wie man die Jugendlichen dazu bekommt, nicht gleich wieder wegzulaufen und dachten an Sport und Musik, auch zum Abreagieren“, erinnert er sich an die Anfänge. Schlagzeuger und Schauspieler Christian von Richthofen kam Rollin und seiner Frau in den Sinn, „weil der bereits Musik auf Flaschen gemacht hatte“ und er sich als „guter Pädagoge“ erwies.
„Ziel ist es, Jugendlichen, die keine Peilung haben, einen Ankerplatz zu bieten“, sagt von Richthofen, der ein bis zweimal die Woche mit den Schrott-Trommlern und dem Stepptänzer Prodoehl, probt. Wenn nötig hilft er den Jungs und Mädchen auch mal bei Umzügen oder wenn sie zu Hause rausfliegen. „Eine Mutter, die in mir den Drahtzieher der Probleme ihres Kindes sah, hat mich schon geohrfeigt.“
HotSchrott sieht er inzwischen als einen „Familien-Verband, den ich liebe“ an. Denn: „Solange wir leben, werden wir uns immer an unsere geile Zeit erinnern.“ Alle Band-Mitglieder hätten zudem, nicht zuletzt durch die Disziplin, die sie sichbeim Proben antrainieren mussten, inzwischen eine Perspektive, so von Richthofen.
Die Auftritte von HotSchrott können sich sehen lassen: In fünf Jahren spielte man unter anderem bei diversen Anlässen, unter anderem für die Werft Blohm&Voss, beim Harley Davidson-Jubiläum im Hafen im Vorjahr und für die Deutsche Bank. Im Mai sind Auftritte auf der Reeperbahn im Schmidt‘s Tivoli und der Schmidt-Show vorgesehen.
Ausgezeichnet wurde das Projekt auch bereits: HotSchrott gewann 2000 und 2003 jeweils den Musik-Preis für die beste Band auf der Altonale. Für ihr Engagement erhielt die Bürgerstiftung Hamburg im Februar diesen Jahres den mit 7.500 Euro dotierten Förderpreis des Vereins Aktive Bürgerschaft.
Spenden an die Bürgerstiftung und ihre sozialen Projekte werden erbeten. Telefon: 41 44 97 50. Infos im Internet unter: www.buergerstiftung-hamburg.de