: Man trägt wieder zu groß
Bremens neue Kleider-Ordnung: Zu einem Anzug, in den man noch hineinwachsen müsse, erklärt Bewerbungs-Intendant Martin Heller die Kulturhauptstadt Europas. Statt einem Schnittmusterbogen dafür präsentierte er in seinem Konzept Ideen für einen neuen Wachstumsschub
Notzeiten haben ihre eigene Mode. Vor allem für die lieben Kleinen. Deren von der Mama selbst geschneiderten Hemden, Hosen und Jacken sind mit bedacht eher füllig geschnitten. Ist ja abzusehen, dass die Kinder größer werden. Der sorgfältig gepflegte Konfirmandenanzug passt dann noch jahrelang bei allen möglichen Familienfeiern.
Braucht Bremen einen zu großen Anzug? Martin Heller meint: Ja. Als künstlerischer Koordinator der Kandidatur Bremens für den Titel der Europäischen Kulturhauptstadt 2010 oblag es gestern dem Schweizer, die Bewerbungsschrift des Stadtstaats vorzustellen. In ihrer Kurzfassung: Das Ganze ist ein zweibändiges Werk und selbst das Abrégé zählt noch 86 Seiten: Der erste Teil bietet ein kleines Lexikon Bremer Kultur-Einrichtungen und damit eine Art Porträt der „eigensinnigen Stadt“, mit dem en passant einige Ungerechtigkeiten und Fehleinschätzungen des früheren „Baustellenpapiers“ beseitigt werden: Das Neue Museum Weserburg hat seinen Auftritt, dem Tanz ist eigenes Kapitel gewidmet, ebenso dem Theater. Der zweite Teil hingegen skizziert „Was Bremen will“.
Dem Unisono auf dem Podium nach zu schließen – bei der Präsentation waren neben Kultursenator Hartmut Perschau (CDU) die kulturpolitischen Sprecherinnen aller drei Bürgerschaftsfraktionen anwesend – kein anmaßender Titel: Die Kulturhauptstadtbewerbung sei ein „veritables Großprojekt“, so Helga Trüpel (B90Grüne). „Die Grünen sind für dieses Großprojekt“. Keine Selbstverständlichkeit: Trüpels Braunschweiger Partei-Kollegen hatten den analogen Vorgang in der niedersächsischen Bewerberstadt nach langen Diskussionen abgelehnt.
Der zweite Band ist zumindest für Bremerinnen und Bremer der interessantere. Und genau dort empfiehlt Heller die besagte Notstands-Couture: „Wer sich auf ein Jahr als Kulturhauptstadt Europas vorbereitet“, so Heller in dessen bewusst pathetisch „Die Vision“ betitelten Einleitungs-Kapitel, „muss in einen vorerst zu großen Anzug hineinwachsen“. Einen Schnittmusterbogen für die neue Garderobe liefert er hingegen nicht.
Das wäre auch fahrlässig: Es ist gar nicht so ausgemacht, dass er Bremen irgendwann passen könnte. Gerade erst hat die „Deutschland 2020“-Studie dem Stadtstaat die Zukunftsfähigkeit abgesprochen (taz Bremen vom 23. 4.). Also muss Wachstum her. Nur wer soll den bewirken?
Kultur natürlich, lautet die strategisch kluge Volte der Bewerbungsschrift. Diese sei als „Motor von Kreativität und Innovation“ zu verstehen. Und genau dieser bedürfe „Wirtschaft und Gesellschaft“ gleichermaßen, um ihr „Innovationspotenzial zu erhalten und zu steigern.“
Kultur also als Wachstums-Generator: „Flaggschiff“ dieses Prozesses – innerhalb dessen auch Bauprojekte wie die Erweiterung der Kunsthalle stehen sollen – sei das so genannte „Bremer Weltspiel“, mit dessen Hilfe Bremerinnen und Bremer „die Welt in ihre Stadt holen“ sollten.
Benno Schirrmeister
Die Bewerbung im Netz www.bremen2010.de