Der Ja-und-Nein-Sager

Hingetupftes Xylofon, schmeichelnde Streicher, sparsame Beats: Jörg Follert alias Wechsel Garland stellt gemeinsam mit dem japanischen Musiker Sohichiro Suzuki das Album „The Isle“ vor

VON HEIKO BEHR

Es ist diese Sehnsucht in der Musik. Eine Sehnsucht nach Schönheit und Idylle, nach Geborgenheit und Liebe. All diese missbrauchten Wörter, die oft nur noch mit verkrampft-ironischer Geste oder verinnerlichter Verachtung Ausdruck zu finden scheinen. Die Sehnsucht auf dem aktuellen Album „The Isle“ von Wechsel Garland & World Standard jedoch trifft so unvermittelt, dass der Kopf die Waffen streckt. Eine zarte Überwältigung.

Jörg Follert alias Wechsel Garland ist sich solcher Vorhaltungen durchaus bewusst, „Niedlichkeitsvorwurf“ nennt er es treffend. „Musik ist ja einerseits stark durch den Alltag gespeist, andererseits ist sie ein Gegenentwurf dazu. Der Wunsch nach Harmonie wohnt wahrscheinlich in jedem Menschen. Bei mir ist es eben in der Musik besonders stark. Ob da jetzt bei mir ein Defizit an Harmonie herrscht oder ich das mehr brauche als andere – ich weiß es nicht.“ Eskapismus? Er winkt ab. „Flucht soll es definitiv nicht sein, ich will lieber irgendwo ankommen als irgendwo weg.“

Diesem Ziel kommt er mit jedem Album näher, wobei es ihm weniger um den perfekten Popsong im Sinne Brian Wilsons geht als vielmehr um eine prozesshafte Weiterentwicklung – von der Fanhaltung bewegt er sich hin zu einem Zustand, den er etwas verschämt lachend folgendermaßen beschreibt: „Ich bin ja eher Komponist als Musiker. Der Computer gibt mir die Möglichkeit dazu.“

Sein drittes Album als Wechsel Garland, das in Kollaboration mit Sohichiro Suzuki alias World Standard entstanden ist und 2003 in Japan veröffentlicht wurde, ist jetzt von Staubgold lizenziert worden und damit weltweit erhältlich. Nur zweimal trafen sich die Musiker in Tokio, schickten dann Skizzen hin und her, feilten auf getrennten Kontinenten an den Stücken. Absolut gleichrangig und ohne Aufgabenteilung, wie Follert betont. Entstanden ist ein ebenso warmes, fließendes wie luftig-fragiles Album: zurückhaltende Akustikgitarren, hingetupfte Xylofonklänge, umschmeichelnde Streicher, sparsames Schlagzeug. Auf Follerts Vergangenheit als Breakbeatproduzent deuten allein die schwebenden Elektroniksounds und die skrupulöse Verwendung von Samples. Gerade mit dieser Rekontextualisierung von Musikfragmenten hat er sich vor einigen Jahren einen Namen als „Wunder“ mit einem gleichnamigen Album gemacht.

Geschickt arrangierte er um nostalgisch konnotierte Samples herum seine Sounds und wurde prompt zum Kritikerliebling, dabei legte er mit „Wunder“ eine Platte vor, die man getrost seinen Eltern schenken könnte. Stets um musikalische Entwicklung bemüht, verbannte der Kölner dieses „improvisierte Komponieren, von Samples ausgehend“, prompt von den nächsten Platten. „Nach der Wunderplatte wollte ich davon weg, weil ich Angst hatte, mich zu wiederholen. Ich habe gemerkt, das fällt mir zu leicht. Danach habe ich versucht, in eine andere Richtung zu gehen – also ohne Samples, oder ohne sie als Grundlage zu nehmen. Mittlerweile denke ich: Im Grunde ist doch Recording oder Sampling der gleiche Vorgang, oder? Also zum Beispiel wenn ich eine Melodie nehme, bei der ich vergessen habe, dass sie Teil einer anderen Melodie ist. Dabei kann alles eine Inspirationsquelle sein, mal geht man direkt damit um und verwendet ein Fragment. Oder man spielt es nach, quasi als zweite Ebene. Oder eben als dritte Ebene, wenn es einem gar nicht mehr bewusst ist. Hören ist immer Samplen. Wer schöpft schon nur aus sich heraus Musik?“

Diese puristischen Überlegungen waren offensichtlich ein Teil seiner Entwicklung, intellektuell befreite er sich von behindernden Restriktionen. Tatsächlich hat er den Zugang erheblich vereinfacht. Instrumentale Musik lebt auch von Assoziationen; durch Songtitel wie „The Whale“, „Something in Sight“ oder „A Fire under the Stars“ wird die Vorstellungskraft befeuert. Da liegt der nächste Schritt, seine Musik mit Texten zu verdeutlichen, aber eben auch zu konkretisieren, sehr nahe. „Ich finde es gut, wenn Musik mit Texten trotzdem Raum für Assoziationen lässt, konkrete Texte mag ich generell nicht. Andererseits ist es gefährlich, allzu malerisch zu werden und sich dabei zu weit aus dem Fenster zu lehnen. Wo ist es Lyrik, wo ist es nur noch heiße Luft?“

Dieses „Weder-noch“ und „Einerseits-andererseits“ taucht oft auf, wenn Follert erzählt; es drückt sich auch in seiner Musik aus. Dabei geht es jedoch weniger darum auszuweichen, als vielmehr Optionen offen zu halten und Eindimensionalität zu vermeiden: weder Urvertrauen in handgespielte Instrumente noch Reduktion auf elektronisches Equipment. Weder plakative Schönheit noch demonstrative Dekonstruktion. „Nur Ja sagen ist genauso behämmert wie nur Nein sagen. Mich interessieren komplexere Zusammenhänge und Intensitäten, eben in der Musik ausgedrückt.“

Diese emotionale Komplexität ist bei „The Isle“ erst auf den zweiten Blick erkennbar. Erst nach der emotionalen Überwältigung öffnet sich diese andere Seite: immer zwischen Imposanz einerseits und Detailverliebtheit andererseits schwankend, weder eindeutig der Schönheit noch der Kaputtheit zugeneigt. Musik auf der Kippe und trotzdem wieder: Musik für deine Eltern.

Wechsel Garland & World Standard: „The Isle“ (Staubgold/Indigo)