: Fressen und gefressen werden
Der Wochenendkrimi: Im BR-„Tatort“ „Sechs zum Essen“ (So., 20.15 Uhr, ARD) geht es um ein obskures Paarungsritual namens Running Dinner. Batic, Leitmayr und Menzinger wirken – wie immer, wenn es um Sex geht – schön deplatziert
Wer den Münchner „Tatort“ einschaltet, könnte auf die Idee kommen, dass Einsamkeit und Essen einander bedingen. Die drei Kommissare, schwer vermittelbare Singles allesamt, tun hier eigentlich nichts anderes, als sich irgendwas in den Mund zu schieben. Im Teekocher erwärmte Weißwürste oder kunstvoll zubereitete Delikatessen, ganz egal. Der BR-„Tatort“ ist ein großes orales Kompensationsprogramm. Für die aktuelle Folge wird die Nahrungsaufnahme zur Kontaktanbahnung. Sie handelt von brutalen Auswüchsen urbanen Partnererwerbs: dem Running Dinner. Einem Paarungstriathlon aus Schnippeln, Speisen und Balzen. „Hier geht es darum, wer am aggressivsten ist“, erklärt Kommissar Menzinger (Michael Fitz) den Kollegen. Auch er nahm an einem Running Dinner teil, hatte gegen seinen Hauptkonkurrenten jedoch keine Chance. Nun ist der Nebenbuhler tot. Er war eine Art Zwangsverführer, der als Pressebetreuer eines Verlags arbeitete und seine Brecht-Gesamtausgabe mit Telefonnummern der One-Night-Stands verzierte. Batic (Miroslav Nemec) und Leitmayr (Udo Wachtveitl) lassen die Gespielinnen zum Verhör antreten. Es sind mehrere Dutzend. Den Kommissaren, die viel über die italienische Küche, aber wenig über die Frauen wissen, glühen die Ohren.
Der Tote war also ein Schwein. Doch Drehbuchautorin Stefanie Kremser vermeidet es, die von ihm Verführten zu lammlangweiligen Opfern zu stilisieren. Der sexuelle Verteilkampf läuft ein bisschen anders. Man nimmt sich, was man kriegen kann.
Passenderweise entwirft Regisseur Filippos Tsitos für diesen heiter-perfiden Tatort ein Rückblendengeflecht, das immer wieder die Erwartungen hintertreibt, während sich sukzessive der wahre Tathergang offenbart. Bei der Rekonstruktion des Reigens schauen Batic und Leitmayr so verständnislos aus der Wäsche wie einst in der Folge „Liebe, Sex, Tod“. Da wurden sie schon mal konfrontiert mit der geballten Einsamkeit Münchens, der Stadt mit den meisten Singlehaushalten, und ermittelten sich durch Flirtschulen und Swingerclubs. Solche sexuell motivierte Betriebsamkeit lässt die Hobbyköchen stets wunderbar deplatziert wirken. Umso unglaubwürdiger, dass der zum Altherrenrockismus neigende Kollege Menzinger am Ende doch noch Anschluss findet. Da stößt er auf eine Dating-Teilnehmerin, die begeistert ist von seiner Sammlung rarer Platten. Aber welche Frau geht schon mit zu einem Mann wegen einer Stones-Originalpressung? CHRISTIAN BUSS