Abstrakter Krieg

Bei der visuellen Kriegsberichterstattung sind US-Medien und Regierung auf gleicher Linie: Sie sind inkonsequent

WASHINGTON taz ■ Als vergangene Woche Bilder in amerikanischen Medien auftauchten, die in US-Flaggen gehüllte Särge bei der Ankunft auf dem Luftwaffenstützpunkt Dover zeigten, reagierte das Pentagon empört. Es hatte im Krieg um die Bilder eine harte Niederlage erlitten. Denn im März 2003, kurz vorm Irakkrieg, untersagte das Pentagon die Veröffentlichung von Fotos heimkehrender Särge.

Der Betreiber einer Internetseite (www.thememoryhole.org) hat sich über das Verbot hinweggesetzt und unter Berufung auf den „Freedom of Information Act“ Fotos direkt von dem Militärstützpunkt in Delaware angefordert, auf dem alle im Ausland ums Leben gekommenen US-Soldaten eintreffen. Das zuständige Luftwaffenhauptquartier genehmigte die Freigabe der rund 280 Aufnahmen – zum Leidwesen von Pentagonchef Donald Rumsfeld, der umgehend anordnete, dass keine weiteren Fotos in die Öffentlichkeit gelangen dürfen.

Zeitgleich druckte die Seattle Times als erste US-Zeitung auf ihrer Titelseite ein Bild, das dutzende Särge in einem Militärtransporter auf dem Flughafen von Kuwait zeigt. Dieses Foto wurde unerlaubt von zwei Mitarbeitern einer US-Firma Anfang April aufgenommen. Beide wurden nach dem Erscheinen sofort entlassen. Die Chefredaktion der Zeitung verteidigte ihre Entscheidung, es sei schließlich Aufgabe der Presse, die Wirklichkeit des Krieges abzubilden. Anschließend druckten fast alle überregionalen Zeitungen in den USA das Bild.

Die erneute Kontroverse um das Pentagon-Verbot zeugt vom widersprüchlichen Umgang sowohl der Presse als auch der Regierung mit der visuellen Kriegsberichterstattung. Das Fernsehen zeigt Bilder vom Häuserkampf in Falludscha, von toten Irakern oder geschändeten Leichen von Amerikanern. Das Militär erlaubt die Veröffentlichung von Passfotos getöteter Soldaten. Und in vielen US-Zeitungen war vor wenigen Tagen das Bild eines GI zu sehen, der einen toten Kameraden im Plastiksack über der Schulter trägt. Heute will der Nachrichtenmoderator Ted Koppel in seiner „Nightline“ auf dem Sender abc eine halbe Stunde lang die Namen der 520 im Irak getöteten US-Soldaten verlesen lassen. Doch heimkehrende Särge sollen tabu sein.

Präsident Bush begründet das mit dem Schutz der Privatsphäre der Anghörigen. Doch ausgerechnet Militärfamilien im Gleichklang mit der Opposition werfen ihm vor, die Opfer aus dem öffentlichen Bewusstsein fern halten zu wollen. „Es ist offensichtlich, dass Bush den Krieg so abstrakt wie möglich halten will“, sagt Eric Freedman, Journalismusprofessor an der University of Michigan. Doch nun, so prophezeit er, werden beide Seiten die Bilder für den Wahlkampf nutzen: George Bush als Symbol heldenhaften Kampfes und Gegenspieler John Kerry als Zeichen einer verfehlten Irakpolitik. MICHAEL STRECK