: Durchwurschteln bleibt angesagt
Drei Dinge auf einmal geht nicht? Im Paula Modersohn-Becker Museum diskutierten am Freitag „Eltern-Experten“, wie das Überraschungsei aussehen müsste, in dem sich Kinder, Kunst und Karriere unterbringen lassen
aus Bremen Dorothea Ahlemeyer
„Sie bleiben zu Hause und kümmern sich um ihre fünf Kinder? Sie sind ein verantwortungsloser Vater.“ Das haben die Leute vom Sozialamt Deutschlands Vorzeige-Hausmann Andreas Potthoff gesagt, als sie seinen Antrag auf Sozialhilfe ablehnten. Zwei Dutzend Frauen schüttelten darüber am Freitagabend im Paula Modersohn-Becker Museum in Bremen ungläubig mit den Köpfen.
Eigentlich sollte es der „Herrenabend“ in der ausstellungsbegleitenden Veranstaltungsreihe über „Kunst, Kinder und Karriere“ werden. Noch eine Woche lang sind dort die Werke von 27 Künstlerinnen zu sehen, die sich unter dem Titel „doublebind“ mit ihrer Doppelrolle als Künstlerin und Mutter beschäftigen. Aber außer dem Techniker und dem Referenten war nur ein einziger Mann gekommen, der sich mit dem kurzen Filmporträt „Wo ist Mama“ über die Potthoffs und ihr Modell Vater-wäscht-Mutter-schreibt-Schecks und einer anschließenden Podiumsdiskussion über „Rollenbilder im Wandel der Zeit“ auseinander setzen wollte.
Dabei waren mit den Autoren Barbara Vinken („Die deutsche Mutter“), Thomas Gesterkamp („gutesleben.de“), der schwedenerfahrenen Gisela Pettersson („Die kleine große Revolution“) und Ulrike Hauffe, Landesgleichstellungsbeauftragte in Bremen, hochkarätige ExpertInnen zugegen. Die Moderation hatte die Berliner taz-Redakteurin Heide Oestreich übernommen.
Einig waren sich die fünf darüber, dass das Potthoff-Modell Ausnahmefall sei – und sein müsse, „weil beide Partner das Recht auf den Lustfaktor bei der Arbeit jenseits von Herd und Staubsauger haben“, so Barbara Vinken. Sie erntete dafür Beifall von Männerforscher Gesterkamp. Er berichtete von regelmäßigen Anfragen diverser Privatsender, die um Adressen von Hausmännern bäten, um zu zeigen, „wie unerotisch die seien“. Ulrike Hauffe berichtete aus eigener Erfahrung, dass „das Hausfrauensyndrom zum Hausmännersyndrom werden und die Beziehung belasten kann“. Und wie heißt nun der Ausweg jenseits individueller Durchwurschtelei mit im günstigsten Fall den Großeltern als Babysitter?
„Es gibt hierzulande bisher keinen“, ärgert sich Pettersson. Dafür aber jede Menge Schuldige. „Einer davon ist Luther“, sagt Vinken. Der habe das deutsche Bild der Familie als Hort des Heils und Mütterlichkeit geprägt. Ergo habe die Frau, die Karriere macht, kein Herz und noch heute schliefen in einer solchen Gesellschaft die „Rabenmütter“ mit schlechtem Gewissen ein. Für Pettersson sitzen die Schuldigen heute vor allem in Berlin. Nachdem sie fünf Jahren den Lebensalltag in Schweden miterlebt hat, wo Eltern problemlos, wie sonst nirgendwo auf der Welt, Job und Kinder unter einen Hut bringen, wird ihr „regelmäßig schlecht“, wenn sie das deutsche Kinderbetreuungssystem betrachtet: „Warum sind hierzulande alle davon überzeugt, Familienorganisation sei Privatsache?“ Schon in den 30er Jahren habe der schwedische Staat die Konsequenzen gezogen, als die Geburtenrate ähnlich erschreckend fiel, wie heute in Deutschland. Das Elternurlaubgesetz von 1974 sei bis heute das fortschrittlichste der Welt, neuerdings gebe es entsprechend den Veränderungen am Arbeitsmarkt sogar Nachtkindergärten.
Mit den demnächst drei „Papamonaten“ seien Väter so stark in die Verantwortung genommen, wie es hierzulande undenkbar wäre. „Frau Schröder hat ihren Beruf geschmissen und doziert nur noch über Erziehungsfragen, in Schweden besteht das halbe Kabinett aus Frauen und männliche Abgeordnete bleiben regelmäßig den Sitzungen fern, um ihre Kinder zum Sport zu fahren.“
Für Vinken, die ihr Kind in New York mit Hilfe von Kindermädchen und der Hortbetreuung in Frankreich großzog, ist der einzige Ausweg aus der deutschen Familienmisere insofern klar: „Auswandern!“ Hauffe brach dagegen eine Lanze für die kleinen Schritte: „Auch bei uns ist etwas in Bewegung geraten. Die ersten betriebseigenen Kindergärten entstehen, nur die Politik schlurft hinterher.“ Ihre Devise heißt: „Mütter und Väter, vereinigt euch, rüttelt den eingeschlafenen Feminismus wach!“ Der Gebärstreik müsse früher oder später zu politischen Konsequenzen führen. Irgendwann in einer neuen Zeit, wenn der Wirtschaftsminister Mütter nicht mehr per Hartzkonzept dränge, höchstens einen Minijob anzunehmen oder am besten gleich zu Hause zu bleiben. In einer Zeit, in der zu einer Diskussion über Familie und Beruf mehr als ein Mann erscheint.
Die Ausstellung „doublebind.kunst kinder karriere“ ist noch bis zum 9. Mai im Paula Modersohn-Becker Museum in Bremen zu sehen, ab 11. Mai im künstlerhaus bethanien in Berlin.