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Archiv-Artikel

Mehr Fest, weniger Krawalle

Der 1. Mai in Kreuzberg und die Walpurgisnacht in Prenzlauer Berg verliefen in diesem Jahr ruhiger als sonst. Die Polizei beschränkte sich auf gezielte Festnahmen. In Lichtenberg räumten die Beamten aber den Nazis den Weg frei

VON GEREON ASMUTH

Vor zwei Jahren forderte der rührige FU-Politologe Peter Grottian ein polizeifreies Kreuzberg am Tag der Arbeit. Sein Ziel: Die „Repolitisierung“ des 1. Mai und die Eindämmung der Gewalt. Für seine Initiative wurde er als träumerischer Utopist belächelt. Nun darf er sich bestätigt fühlen.

Denn wenn dieser 1. Mai 2004 etwas belegt hat, dann die alte These linker Gruppierungen: ohne Polizei keine Gewalt. Ganz nach diesem Konzept arbeitet das „MyFest“ der Bezirksbürgermeisterin von Friedrichshain-Kreuzberg, Cornelia Reinauer (PDS). Zehntausende wurden durch das weitläufige Bühnenspektakel angelockt. Den Vorwurf, durch ein unpolitisches Event den 1. Mai umkrempeln zu wollen, kann Reinauer nur mit einem Lächeln zur Kenntnis nehmen. Denn politisch lassen sich die Kreuzberger Vorgänge schon seit Jahren nicht mehr begründen. Friedlicher aber sind sie nun geworden. Ein Erfolg.

Fast wäre es den Festveranstaltern vollständig gelungen, die Krawallsüchtigen ins Leere laufen zu lassen, da die Polizei auf sichtbare Präsenz auf der Partymeile vollständig verzichtet hat. Selbst als gut 1.000 Jugendliche plötzlich durch den Kiez rauschten, fehlte ihnen jede Angriffsfläche. Stattdessen ernteten sie den Unmut der Feiernden.

Und auch nach den massiven Flaschen- und Steinwürfen, die zwischen Heinrichplatz und Mariannenstraße doch noch das alte Ritual einleiteten, verzichtete die Polizei klugerweise auf die übliche Frontenbildung, auf Hundertschaften, die wahllos Straßenzüge räumen. Mit dieser Strategie hatte man schon in der Walpurgisnacht am Mauerpark die Ausschreitungen eindämmen können.

Auch das neue Vorgehen bei Festnahmen führte sichtbar zur Abschreckung. Statt wahllos alle wegzuzerren, wurden gezielt einzelne Verdächtige rausgegriffen, die zuvor von Zivilbeamten als Straftäter ausfindig gemacht wurden.

Ob es wirklich immer die Richtigen getroffen hat, muss sich allerdings noch zeigen. Zudem sind die Beamten bei den Festnahmen mehrfach in alte Prügelzeiten zurückgefallen. Auch ein Erfolg hat manchmal seine Schattenseiten.

Kritische Fragen muss sich die Polizei aber vor allem an anderer Stelle gefallen lassen. Mit fragwürdigen Methoden haben die Beamten versucht, die NPD-Demonstration aus Lichtenberg auch noch ins für seine kritische Bewohnerschaft bekannte Friedrichshain durchzuboxen. Grundsätzlich gilt natürlich, dass jede genehmigte Demonstration auch durchgeführt werden kann. Das gilt selbst für die Nazis.

Dennoch bleibt das Prinzip der Güterabwägung. Die berechtigten Proteste gegen die Nazi-Demo und die Übergriffe der rechten Kameradschaften auf die Polizisten hätten der Polizeiführung schon am Aufmarschplatz die Gelegenheit geben können, das unschöne Ereignis vorzeitig zu beenden. Stattdessen versuchte sie sich an dem sinnlosen Unterfangen, die Wegstrecke frei zu prügeln.

So kam es später nicht nur zu den gewalttätigen Ausschreitungen in Friedrichshain. Einige Polizeieinheiten schlugen schon auf dem Weg dorthin über die Stränge. Nach Angaben der PDS kesselten die Beamten rund 350 Gegendemonstranten an einer Tankstelle mehrere Stunden lang ein. Selbst die Lichtenberger Bürgermeisterin Christina Emmrich und der Abgeordnete Freke Over (beide PDS) seien kurzzeitig nicht herausgelassen worden. Over stellte Strafanzeige, weil er von einem Polizist am Ohr verletzt worden sein soll. Ein weiterer PDS-Politiker sei sogar mit einem Beinbruch ins Krankenhaus eingeliefert worden. Dass die Nazis schließlich nach nur rund einem Siebtel der Wegstrecke umkehren mussten, mag da kaum noch freuen.

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