: Immer dieselben Nasen
1. Mai, Berlin-Kreuzberg: Wie jedes Jahr waren bei den Maifestspielen auch diesmal dieRollen klar verteilt. Und jeder spielt, so gut er kann. Eine kleine Typologie der Allstars
DER AKTIVIST
Sebastian von Hoff, 21, Punk und Informatikstudent, hat genug von den Gewerkschaften. Und demonstriert lieber auf seine Art.
„Der 1. Mai ist für mich kein besonderer Feiertag. Das mag er für die Gewerkschaften sein, die die offizielle Demonstration veranstalten. Aber Gewerkschaften finde ich schon lange relativ unsympathisch. Sie sind so spießbürgerlich wie die Jusos, kümmern sich bloß um die Löhne hier bei uns und sind gegen die Abwanderung der Arbeitsplätze in andere Länder. Wie’s den Menschen dort geht, ist ihnen egal.
Zur DDR-Zeit in der Schule in Aschersleben mussten wir am 1. Mai Mainelken und Friedenstauben basteln, da habe ich bei der offiziellen Demo auch das erste Mal einen Panzer gesehen. Seitdem ich in Berlin bin, bin ich jedes Jahr im Mauerpark zum Volksfest, das ist ja auf den ersten Blick eine ziemlich unpolitische Sache, ein Straßenfest, allerdings eins mit politischer Bedeutung: Es geht auch darum, dass öffentliche Plätze öffentlich bleiben sollen. Es gab ja schon Versuche, den Park abzusperren und Alkohol zu verbieten.
Diesmal fand am 1. Mai auch eine Antinazidemo in Friedrichshain statt, von der PDS organisiert. Dort war ich auch dabei. Wenn plötzlich Nazis durch den Kiez marschieren, lassen sich das die Leute ja nicht bieten, da sind ja viele Häuser besetzt. Sie könnten dann Wasser von oben kippen oder auch etwas massivere Materialien. Mit der Polizei kann es dann selbstverständlich Stress geben, wenn sie für uns die Straße dicht macht und uns abdrängen will. Vorletztes Jahr war ich mit eingekesselt, da sind wir vom Alex nach Kreuzberg gezogen. Als es da aber losging, hat uns die Polizei gar nicht weitergelassen. Mein Ziel ist jedenfalls, trocken zu bleiben – nicht, was Bier angeht; ich meine die Wasserwerfer.“PROTOKOLL: THOMAS GERLACH
DER GEWALTBEREITE
Baptiste, 28, Student, fühlt sich als Guerilla. Und haut deshalb drauf.
„Eigentlich ist es gar nicht der 1. Mai, der Spaß macht, sondern die Walpurgisnacht. Das ist Feuer und Wildheit. Du springst durch die Feuer und bist irgendwann total in Ekstase. Keiner kann dich mehr verletzen. Und dann kommt das Bullenpack schon von ganz alleine. Na ja, und dann drauf. Das ist wie beim Counterstrike zocken, du bist wie ein Guerilla.
Weil es dunkel ist, kann man sich sehr schön zu kleinen Gruppen zusammenschließen, ein paar Coladosen oder Steine eingepackt – und dann rauf auf die. Im Nahkampf haben die mit ihrer schweren Ausrüstung ja einen Vorteil, aber wenn die mit der Ritterrüstung erst einmal rennen müssen, das ist lustig. Also aus dem Hinterhalt kommen, dann werfen, treffen, und dann rennen.
Das pusht alles, man merkt, wie man lebt. Ich finde das nicht feige, denn die sind besser bewaffnet. Da muss das eben laufen, wie bei Partisanen. Die sind die Gejagten, na ja, jedenfalls würde ich mir das wünschen. Meist endet das ja andersherum.
Deshalb ist der 1. Mai auch gar nicht so günstig, da ist es zu hell. Die Walpurgisnacht ist die Nacht der Nächte. Viele jammern ja rum, dass es beim 1. Mai um was anderes geht: Tag der Arbeit und so weiter, friedliche Demonstrationen. Was für ein Müsli-Bullshit. An diesem einen Tag will ich mich als Mensch fühlen, ohne Schranken, ohne Spießer und ohne Regeln. An die Leute im Bundestag, denen Berlin jetzt wohl gehört, kommt man ja leider nicht ran. An ihre Kampfroboter schon.“PROTOKOLL: DANIEL SCHULZ
DER POLIZIST
Thomas Wobing, 38, versucht Frust abzubauen und gesund nach Hause zu kommen.
„Der 1. Mai ist Glücksache. Manchmal ändert sich die Lage innerhalb von Sekunden und man steckt mittendrin. Mein Einsatzbus steht am Moritzplatz, nebenan auf der Oranienstraße demonstrieren die Leute friedlich. Aber ein Anruf, und alles kann sich ändern. Wahrscheinlich ist den meisten noch kein Stein nachgeschmissen worden. Das Gefühl kann sich keiner vorstellen. Du siehst noch nicht einmal, was da auf dich zufliegt, nur dass es etwas Dunkles, sehr Schnelles ist.
Hier, die Narbe auf meiner Stirn, die hat ein Stein hinterlassen, am 1. Mai 1990. Klar hatte ich damals Angst. Genauso wie heute auch. Angst ist sehr wichtig. Ohne Angst wirst du unvorsichtig. Oder gehst auf die Provokationen ein. Wenn ich da nur an all die Beleidigungen denke. Die meiste Zeit eines Einsatzes verbringst du damit, Frust abzubauen. Sogar in Extremsituationen, wenn Steine fliegen. Dann geht es auch für mich als Polizisten nur mehr um eines: versuchen, aus der Situation gesund herauszukommen und eventuell ein paar Störer oder Krawallmacher festzunehmen. Zum Glück habe ich noch nie erlebt, dass Polizisten ausgetickt wären.
Eine Sache geht mir beim 1. Mai immer noch nicht in den Kopf: Man demonstriert für ein Anliegen, für das ich großes Verständnis habe, nämlich gegen Sozialabbau. Davor ist ja keiner mehr geschützt, auch die Polizei nicht. Man demonstriert also, und danach nutzen einige wenige die Anwesenheit der Polizei dazu aus, Krawall zu machen, uns gezielt anzugreifen und alles zu verwüsten.“PROTOKOLL: SUSANNE LANG
DER KREUZBERGER
Bahri Yasaroglu, 31, arbeitslos, ist zufrieden mit dem Kulturangebot, aber im Grunde warten alle auf die Krawalle.
„Der 1. Mai ist für mich wie das Ramadan-Fest: Unterhaltung, Essen, Musik, die Menschenmenge und natürlich die Straßenkämpfe. Der Tag hat auch einen politischen Inhalt. Aber was dieser sein soll, wird hier zwischen Döner- und Grillgestank nicht klar. Und warum überhaupt die Nazis an diesem Tag demonstrieren, verstehe ich auch nicht. Gut, dass es Gegendemos gibt. Ich sitze am liebsten in einem Café am Heinrichplatz auf einem der Logenplätze. Um den besten Blick nicht aufzugeben, bleibt einer von uns am Tisch und vertreibt die Konkurrenz.
Es warten hier um mich herum sowieso alle, dass die Krawalle losgehen. Das ist auch normal. Sie werden in der Presse und durch die Polizei angekündigt. Sie sind selber schuld, dass dann die Menschen extra kommen, um zuzuschauen.“PROTOKOLL: CEM SEY
DER ANWOHNER
Peter Unfried, 40, wohnt direkt im Zentrum der Demonstrationen. Er beteiligt sich selbstbestimmt nicht am Kampf.
„Einmal im Jahr kann man am Lausitzer Platz, 10997 Kreuzberg, super parken. Aber selbstverständlich parken wir da nicht mehr. Das haben wir in den ersten Jahren gemacht. Selbstbestimmt. Aus Solidarität. Und weil das Auto eh nichts mehr wert war. Als wir diesmal am Abend des 1. Mai zu Fuß nach Kreuzberg zurückkommen, sichern Polizisten den ‚Schlecker‘ Pückler Ecke Muskauer, der letztes Jahr gebrannt hat. Jetzt wird klar, dass ein tiefer Riss durch unsere vierköpfige Wohn- und Lebensgemeinschaft geht. Der autonome Mitbewohner Kalle, 3, schreit rum, man solle unbedingt noch zum ‚Kampf‘ schleichen. Er plant eine solidarische Aktion, an deren Ende alle Polizisten tot sein würden wie der ihm bekannte Kater Kafka. Das sei doch cool. Dann könnten sie nicht mehr ‚gegen die Menschen‘ kämpfen. Die bürgerliche Mitbewohnerin Paulina, 5, plädiert dagegen. Man dürfe die Polizisten nicht töten, weil sie ja aufpassten, dass man unsere Fahrräder nicht klaut.
Den Sätzen der beiden anderen kann man entnehmen, dass sie Jenseits-der-30-Jährige sind (‚Ist das Auto weit genug weg geparkt?‘ – ‚Ist man eigentlich gegen Anzünden versichert?‘). Beim Abbiegen in die Waldemarstraße wird eine aktive Beteiligung am Kampf mit drei Stimmen gegen eine abgelehnt. Stattdessen gehen die einen ins Bett, die anderen legen ‚Keine Macht für Niemand‘ auf und kucken aus dem Fenster runter auf den Lause.“ PU