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Archiv-Artikel

Das tödliche Ende eines falschen Weges

An der Anschlagserie in Usbekistan im März waren auch Selbstmordattentäterinnen beteiligt. Die meisten kamen aus aufgeklärten Elternhäusern. Für ihre Schulung soll die Islamische Bewegung Usbekistans verantwortlich sein

TASCHKENT taz ■ Am Montagmorgen, dem 29. März, um circa neun Uhr tritt die 19-jährige Dilnosa Kholmuradowa auf eine Gruppe Polizisten zu. Die Beamten versammeln sich hier jeden Morgen auf dem Tschorsu-Basar, dem größten Markt Taschkents, um den Plan für den Tag zu besprechen. Das Mädchen zündet einen Sprengsatz, den sie sich um den Körper geschnallt hat. Zwei Polizisten, ein Kleinkind und die Attentäterin selbst kommen um, mehrere Beamte werden zum Teil schwer verletzt.

Dieses war einer der ersten Anschläge einer Serie von Attentaten in Usbekistan, bei denen in vier Tagen fast 50 Menschen getötet wurden, darunter 32 mutmaßliche Attentäter. Der Fall der 19-jährigen Kholmuradowa und erste Erkenntnisse, wer für die Anschlagsserie verantwortlich ist, hat einige beunruhigende Konsequenzen für Usbekistan. In dem zentralasiatischen Land sind sowohl deutsche als auch US-amerikanische Soldaten stationiert, und nach Pakistan gilt es als wichtigster westlicher Verbündeter im Kampf gegen den Terror in Afghanistan.

Wie einige der anderen Attentäterinnen kommt Dilnosa Kholmuradowa aus einem begüterten und aufgeklärten Elternhaus. Die sehr elegant eingerichtete Wohnung ihrer Eltern liegt in einem der teuersten Viertel der Taschkenter Innenstadt. Ihrer Mutter Sahro ist es vor allem wichtig aufzuzählen, welch gute Erziehung ihre Tochter genossen hat. Außer Usbekisch und Russisch sprach ihre Tochter auch Englisch, Türkisch und Arabisch. Sie machte den Führerschein, was für usbekische Frauen nicht selbstverständlich ist.

Nach dem Abschluss der Mittelschule vor drei Jahren versuchte sie in die Polizeiakademie aufgenommen zu werden. Die Akademie in einem Taschkenter Vorort gilt als heiliger Gral der Polizei. Dort werden alle ausgebildet, die im höheren Dienst der usbekischen Sicherheitskräfte arbeiten wollen. Um dort zu studieren, sagen Experten, muss man mehrere tausend US-Dollar Bestechungsgelder bezahlen.

„Vor zwei Jahren haben sich Dilnosa und Schachnosa völlig verändert.“, sagt Mutter Sahro. Schachnosa ist Dilnosas 22-jährige Schwester. „Im Kulturinstitut der ägyptischen Botschaft fingen sie an, Arabisch zu lernen, um den Koran zu lesen. Sie haben ein Kopftuch getragen, es abgelehnt, Fernsehen zu schauen, und sich völlig von ihren Freundinnen abgekapselt.“ Beide nahmen ein paar Kleider mit und verließen am 16. Januar heimlich die elterliche Wohnung, um, wie die Polizei sagt, in einem Ausbildungslager auf die Attentate vorbereit zu werden.

Erst Mitte April haben die Eltern Dilnosa in einer Taschkenter Leichenhalle identifiziert. Ihre ältere Tochter Schachnosa wird steckbrieflich von der Polizei als potenzielle Selbstmordattentäterin gesucht. „Unsere Töchter wurden von islamischen Predigern umgedreht“, sagt Mutter Sahro. „Wir haben versucht mit ihnen zu reden, wir haben mit ihnen gestritten und ihnen Hausarrest gegeben. Nichts hat geholfen.“ Die Mutter bestreitet nicht, dass ihre Töchter vom Leben in Usbekistan abgestoßen waren, wo man in den Schulen bestechen muss, um sein Zeugnis zu bekommen, und in den Kliniken, um behandelt zu werden. „Aber wir wussten, dass ihr Weg der falsche ist.“

Islamische BewegungUsbekistans verdächtigt

Mitte vergangener Woche beschuldigte Präsident Islam Karimov direkt die Islamische Bewegung Usbekistans (IBU) der Ausbildung der Attentäter. Die usbekische Regierung macht die IBU für die Bombenanschläge im Februar 1999 verantwortlich. In den Sommern 1999 und 2000 hatte die IBU Guerillaangriffe auf Usbekistan unternommen. Geständnisse gefasster mutmaßlicher Terroristen und Unterlagen, die bei ihnen gefunden wurden, bewiesen, so Karimow, dass sie in Lagern in der pakistanischen Provinz Südwasiristan ausgebildet wurden. Die pakistanische Armee hatte im Februar behauptet, dass sie Tahir Yuldaschew, den politischen Führer der IBU, bei einer Militäroperation in dieser Region gegen al-Qaida eingekesselt und verwundet hat. Letztlich gelang ihm die Flucht.

Selbstmordattentate hatte es bisher in Zentralasien nicht gegeben, und es gibt auch Hinweise, dass die Attentäter noch eine andere Verbindung ins Ausland hatten. Ein paar Tage nach den Anschlägen hat sich eine Gruppe namens Islamischer Dschihad zu ihnen bekannt. Sie schickte E-Mails an eine den tschetschenischen Rebellen nahe stehende Internetseite und an zwei usbekischen Antiregierungsseiten.

Da diese Botschaften nicht namentlich gekennzeichnet waren und bisher nicht bekannt war, dass eine solche Gruppe in Zentralasien aktiv ist, wurden sie von vielen Beobachtern mit Skepsis aufgenommen. Die usbekische Regierung kommentierte sie nicht. Doch Mitte April berichteten israelische Zeitungen unter Verweis auf Geheimdienstinformationen, dass die ägyptische Zelle von Islamischer Dschihad die Verantwortung für die Attentate übernommen habe. Und auch in einem internen Bericht der usbekischen Polizei heißt es, Unterlagen, die bei den Attentätern sichergestellt wurden, ergäben, dass sie der „Weltfront Dschihad“ angehörten.

Die Organisation Islamischer Dschihad wurde 1979 in Ägypten von palästinensischen Studenten gegründet, die von der islamischen Revolution im Iran begeistert waren. Die Organisation hat vor allem durch Selbstmordanschläge in Israel von sich reden gemacht. Sie hat jedoch Zellen im gesamten Nahen Osten und bekommt nach Meinung von Experten Unterstützung aus dem Iran und Syrien.PETER BÖHM