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Chemie sorgt vor

EU will gefährliche Chemikalien schneller erkennen und verbieten können. Umweltverbände: „Nicht ausreichend“

BERLIN taz ■ Die nächsten Chemie-Skandale sollen schon im Voraus verhindert werden. Geht es nach der EU-Kommission, müssen 30.000 Chemikalien, die zum Teil seit Jahrzehnten benutzt werden, bis spätestens 2016 systematisch auf ihre Gefährlichkeit für Mensch und Umwelt getestet werden. Das sieht der Entwurf der neuen Chemikalienverordnung vor, den die Kommission noch bis zum 10. Juli im Internet öffentlich zur Diskussion stellt. Die chemische Industrie müsste nach diesem für alle Stoffe, von denen sie über 1 Tonne pro Jahr produziert, Sicherheitsdaten vorlegen. Ein Expertengremium soll danach die Gefährlichkeit der Chemikalien bewerten und gegebenenfalls Auflagen erlassen – bis zum völligen Verbot bestimmter Stoffe.

Grundsätzlich als besonders gefährlich gelten dem Entwurf nach alle Chemikalien, die sich im Gewebe, Wasser oder Sediment anreichern, Krebs erregend sind, das Erbgut schädigen, unfruchtbar machen oder als schwer abbaubares Dauergift (POP) eingestuft werden. Nur wenn die Industrie nachweisen kann, dass das Risiko aufgrund der speziellen Anwendung der Chemikalie vernachlässigbar ist oder ihre Nutzung so viele Vorteile bietet, dass das damit verbundene Risiko als gesellschaftlich tragbar eingestuft wird, soll der Stoff weiterhin in Verkehr gebracht werden dürfen.

Den Umweltverbänden geht das nicht weit genug. Zwar sei das Reformprojekt grundsätzlich zu begrüßen, die Neuregelungen garantierten jedoch keinen ausreichenden Schutz von Mensch und Umwelt. Gefährliche Chemikalien, für die es bereits Alternativen gebe, müssten automatisch verboten werden, fordern etwa BUND, Greenpeace, der Deutsche Naturschutzring (DNR) und das Europäische Umweltbüro. Für die Verbraucher müsse zudem erkennbar sein, welche Chemikalien in welchen Produkten enthalten sind. Und die europäischen Sicherheitsstandards sollten ebenso für importierte Konsumgüter gelten. Die EU-Kommission preist, die neue Verordnung kehre die Beweislast um und nehme die Industrie für die von ihr auf den Markt gebrachten Chemikalien in die Verantwortung. Die Risikobewertung ihrer eigenen Produkte dürfe nicht von der Industrie vorgenommen werden, kritisieren dagegen BUND und DNR.

Europaweit werben die Umweltverbände derzeit um Unterstützung für ihre Position. Denn auch die Chemieindustrie hat bereits Protest angekündigt. Das Procedere der Chemikalientests sei viel zu aufwändig, die Kosten seien viel zu hoch, sagt der Sprecher des Verbands der Chemischen Industrie (VCI), Manfred Ritz. Leidtragende der neuen Verordnung seien neben der Grundstoffindustrie alle Betriebe, die mit Chemikalien arbeiteten. Es könne nicht angehen, dass etwa ein Elektronikhersteller, der eine als giftig eingestufte Chemikalie einsetze, beweisen müsse, dass ihre Anwendung in seinem speziellen Fall ungefährlich sei. An dem Gesetzentwurf, so Ritz, sei noch „’ne Menge zu ändern“. ARMIN SIMON

BUND-Petition und Link zum Gesetzentwurf unter www.chemicalreaction.org

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