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Archiv-Artikel

Batteriebetriebener Plastikfisch

Glitschig wie ein japanischer Karpfen: „Der Kuss des Kohaku“ im Hamburger Malersaal gerät zum symbolbefrachteten Beziehungskarussell

Ist er echt? Lebt dieser Fisch, der sich da in der Plastiktüte mit reichlich wenig Wasser bewegt? Wären auf der Bühne des Malersaals Tierquäler am Werk? Warum öffnet der japanische Zierkarpfen nie sein Maul, wie es sich für einen Fisch gehört?

Fragen, die einen bei der Uraufführung von Peter Stamms Der Kuss des Kohaku nicht loslassen. Und offenbaren, wie kalt das übrige Geschehen lässt. Da sind vier Menschen, zwei Paare, die in einem fast leeren Haus zusammensitzen und sich scheinbar viel zu sagen haben. Nach dem Tod von Michaels Mutter wollen er und seine Freundin Sandra wieder in sein Elternhaus einziehen. Sie warten auf den Umzugswagen. Sandras Exfreund Günter und dessen neue Freundin Monika leisten dabei Gesellschaft.

Alle reden in einem fort - über die Liebe und das Leben, über Kinderkriegen und Besitz. In wechselnden Konstellationen sitzen sie im von Maria-Alice Bahra mit Folie ausgekleideten Raum und tragen ab und an ein rotes Sofa herum. Darauf liegt der Fisch.

Ein Koi sei das, erklärt Sandra (Maja Schöne) den Gästen: „Ein ganz besonderer Fisch. Das könnt ihr gar nicht verstehen. Der steht für Liebe, für Schönheit, für Weisheit, für den lieben Gott.“ Also für all die Leerstellen im Leben der vier. Denn die freiheitsliebende Sandra will lieber alleine leben als mit Michaels Kindheitserinnerungen. Und für Koi-Liebhaber Michael ist der Besitz von schönen Dingen wichtiger als Liebe und Nähe. Die sportlich-naive Monika scheint besser zu ihm zu passen. Sie sehnt sich nach einem Haus und Kindern, während ihr Lover Günter seiner verflossenen Liebe Sandra nachhängt. Also Unglück hoch vier. Und der Fisch schaut zu.

Ja, der Fisch. Sein Symbolwert wird permanent vor Augen geführt. Denn der goldgefleckte Karpfen spielt die eigentliche Hauptrolle in diesem handlungsarmen Stück, das Florian Fiedler ohne eigene Akzente brav nach den Regieanweisungen des Autors in Szene setzt.

So wie sich der Koi in seiner Plastiktüte nur minimal bewegt, spielen sich auch auf der Bühne nur kleinste Veränderungen ab. Zum Beispiel in der Mimik von Bjarne Mädel. Zuerst reagiert er noch ungläubig auf den Jahre zurückliegenden ersten Betrug, dann vereist sein Ausdruck, als der neue Seitensprung, Minuten vorher auf der Matratze auf dem Dachboden begangen, unwidersprochen feststeht. Bjarne Mädel als ehrliche, aber dumme Haut namens Günter: So jemanden kennt und mag jeder. Und nutzt ihn aus. Er will eine Frau, die ihm sagt, wo’s langgeht, und das tut seine Neue sicher nicht. Lisa-Marie Janke ist eine frische und pragmatische Monika, die sich auch nach der starken Hand sehnt. Und nach Verführung. Doch nach dem spontanen Seitensprung zieht sie sich schnell wieder die Strickjacke an. Denn Michael alias Sylvester Groth hat „danach“ nur noch Augen für den Fisch. Der fordert schließlich nichts.

So glitschig wie ein Fisch bleibt im Grunde auch das symbolbefrachtete Beziehungskarussell. Das nett-pragmatische Paar Günter und Monika sorgt zwar für phasenweise Bodenhaftung, doch wird ihnen ständig wieder der Boden unter den Füßen weggezogen. Viel Raum für Interpretationen möchte Stamm dem Zuschauer bieten. In seinen Romanen und Erzählbänden ist das dem Schweizer Autor bereits wesentlich besser gelungen als in dieser Auftragsarbeit fürs Deutsche Schauspielhaus. Als lakonischer Erzähler versteht es Stamm Stimmungen und Spannung zu erzeugen. Hier wird alles totgeredet – und mancher Zuschauer flüchtet in die stumme Frage: Ist der Fisch echt? Nur die Pragmatiker hauen den ganzen Symbolismus in die Pfanne. Sie wissen: Der kostbare Koi war ein batteriebetriebener Plastikfisch.

Karin Liebe

Nächste Vorstellungen: 9., 22. und 25. Mai, 20 Uhr, Malersaal