: Calvados mit Braunschweiger
Osnabrück will „Kulturhauptstadt Europas 2010“ werden – Die Wahrheit ist dabei
Die zwischen Teutoburger Wald und Wiehengebirge gebettete, mit schmucken Asphaltbändern umgürtete niedersächsische Gemarkung Osnabrück bewirbt sich um den Titel „Kulturhauptstadt Europas 2010“ und löckt damit wider die Landesregierung, deren Wohlwollen allein auf Braunschweig ruht. Die Wahrheit wird Osnabrück auf dem langen Weg durch die Institutionen publizistisch begleiten und nach bestem Vermögen unterstützen.
Eine der kunstvoll gefertigten Säulen, auf denen die Bewerbung der Ausnahmestadt Osnabrücks ruht, wurde aus den Gebeinen Erich Maria Remarques zusammengefügt. Bildlich gesprochen, versteht sich. Der Romancier, Theater- und Drehbuchautor erfreut sich heutzutage größter Wertschätzung. Ein Teilstück des viel befahrenen früheren Stadtwalls wurde nach ihm benannt, im Schatten des historischen Rathauses leistet das Erich-Maria-Remarque-Friedenszentrum seine verdienstvolle Arbeit, und an der Peripherie der Altstadt erhebt sich stolz das „Steigenberger Hotel Remarque“, wo hochmögende Gäste internationaler Provenienz logieren und ernährungsbewusste Einheimische sich bei einem kostbaren Tropfen treffen oder feinste Delikatessen genießen. Ein Arrangement, das dem Autofreund, Pazifisten und lebenslangen Alkoholiker Remarque gewiss gut gefallen hätte.
Nicht zu jeder Zeit jedoch war die Beziehung Osnabrücks zu ihrem großen Sohn „Erich-Maria-Remarque“, so die Schreibweise der Avantgardeschrift Osnabrücker Nachrichten, so ungetrübt. Gegen Ende der Zehnerjahre des vergangenen Jahrhunderts besaß der spätere Erfolgsautor einen Hund, dem er den Namen eines berüchtigten SPD-Politikers gegeben hatte – „Komm her, Noske, du Hund“, soll der angehende Junglehrer anspielungsreich gerufen haben, wenn er durch die Straßen der Stadt bummelte, was viele Zeitgenossen nicht eben gern hörten.
Als der Schriftsteller einige Jahre später in seinem Weltbestseller „Im Westen nichts Neues“ nüchtern die Schrecken des Ersten Weltkriegs beschrieb, schlug ihm gerade auch aus Richtung Heimat der giftige Odem der Neider und der Unbelehrbaren entgegen. Sehr übel nahm man ihm, seinen guten deutschen Namen Remark dem welschen Erbfeind angepasst zu haben, und fand es obendrein unfein, dass der zu Ruhm und Geld gelangte Romancier in Hollywood mit Leinwanddiven wie Marlene Dietrich und Paulette Goddard herumpoussierte, während daheim derart grausame Winter wüteten, dass man sich gar gezwungen sah, die Werke des vaterlandslosen Gesellen vorauswirkend im offenen Feuer zu verheizen.
Die Wiedergutmachung erfolgte 1964, als der Rat der Stadt Osnabrück dem einstigen Mit- und nunmehr Weltbürger die höchste ihrer Ehrungen, die „Möser Medaille“, zuerkannte. Zwar konnte diese namhafte Auszeichnung den prominenten Mann nicht mehr aus der Schweiz in seine Heimatstadt locken, aber einige hochrangige Lokalpolitiker und Honoratioren ließen es sich gern gefallen, nach Porto Ronco gesandt zu werden, um die Plakette dortselbst in privatem Rahmen feierlichst zu überreichen. Wieder daheim, schwärmte man vom guten Geschmack und zuvorkommenden Wesen des Gastgebers, der seinerseits das Ereignis in seinem Tagebuch bündig zusammenfasste: „Rührend und langweilig. Was soll man mit elf Leuten, mit denen man nichts zu reden hat, tun. Gaben ihnen Gänseleber, Lachs und Champagner.“
Noch heute verbindet sich der Name Remarque mit lukullischen Genüssen und vornehmen Tropfen. Vor einiger Zeit hielt die Feinkostkette Aldi gar einen Calvados vor, der auf den Namen des Schriftstellers getauft worden war. Zwar ist einzuräumen, dass E.M.R. angesichts dieses Etiketts wohl verächtlich die Lippen geschürzt hätte, weil er zwar den Arzt Ravic aus seinem Bestseller „Triumphbogen“ permanent Calvados schlürfen ließ, selbst aber den ihm daraufhin von begeisterten Lesern kistenweise übersandten Apfelschnaps wenig schätzte. Das ändert indes nichts daran, dass der Aldi-Sonderverkauf den Namen Remarque in aller Munde brachte und damit auch Osnabrück sehr dienlich war. Was sollte Braunschweig dem noch entgegen setzen können? Bestenfalls eine in Plastikhäute gezwängte Presswurst namens „Braunschweiger“. Die aber, davon darf man ausgehen, bei Remarques nie auf den Tisch gekommen wäre. CASPAR WIEDENBROCK