Rot-Grün dementiert Abkehr von Sparpolitik

Gerede über ein Ende des Sparkurses sei „lautes Getöse“. Reduzierung der Eigenheimpauschale geplant

BERLIN taz ■ Die Bundesregierung bestreitet, dass sie einen Richtungswechsel in der Finanzpolitik einleite. „Es bleibt beim Konsolidierungskurs“, sagte Bundesfinanzminister Hans Eichel (SPD) gestern. Die Koalition setze auch weiterhin auf den „Dreiklang“ aus Sparpolitik zur Verringerung der öffentlichen Defizite, Reformen der Sozialsysteme und Wachstumsimpulsen.

In der vergangenen Woche hatte Eichel (SPD) einer Koalitionsrunde unter Leitung von Bundeskanzler Gerhard Schröder (SPD) die dramatische Haushaltslage geschildert. Die notwendige Neuverschuldung im Bundeshaushalt könnte in diesem Jahr nicht wie geplant 29 Milliarden Euro, sondern bis zu 47 Milliarden betragen. Die Koalitionsspitzen waren sich angesichts des lahmen Wachstums von nur 1,5 Prozent in 2004 und der geringen Nachfrage der Konsumenten einig, dass dieses Loch nicht durch zusätzliche Sparpakete gestopft werden könne.

„Wir haben weder etwas beschlossen noch vereinbart oder zur Veröffentlichung freigegeben“, sagte SPD-Partei- und Fraktionschef Franz Müntefering zu angeblichen Ergebnissen des Treffens, über das eine lebhafte öffentliche Diskussion im Gange ist. Die Meldungen über ein vermeintliches Ende des rot-grünen Sparkurses seien „lautes Getöse von Leuten, die nicht dabei waren“, so Müntefering.

Freilich liegt es in der Natur der Sache, dass die Regierung eine Abkehr von ihrem Sparkurs offiziell dementiert. Täte sie es nicht, müsste sie erklären, warum die bisherige, von ihr selbst am meisten gelobte Konsolidierungspolitik jetzt plötzlich falsch sein soll. Sie würde damit ihren ohnehin schon schwer angeschlagenen Sparkommissar Hans Eichel zum Abschuss freigeben und dessen gescheitertem Vorgänger Oskar Lafontaine nachträglich Ehre erweisen. Außerdem würde die Bundesregierung die EU-Kommission in Brüssel brüskieren, wenn sie offiziell erklärte, die Drei-Prozent-Verschuldungsmarke sei ihr im Jahre 2005 wieder einmal egal.

Nach Angaben von Müntefering und auch der grünen Fraktionschefin Krista Sager weiß die Koalition derweil noch nicht, wie sie mit dem größeren Defizit im Bundeshaushalt umgehen soll. Rot-Grün steht vor allem vor dem Problem, dass die neuen Schulden viel höher ausfallen könnten als die Investitionen – was den Tatbestand der Verfassungswidrigkeit erfüllen würde. Der Ausweg, wieder einmal die Störung des gesamtwirtschaftlichen Gleichgewichts, mithin eine Wirtschaftskrise zu erklären, ist Eichel angesichts des moderaten Wachstums versperrt.

Eine Möglichkeit besteht darin, das Loch teilweise zu schließen, indem weitere Aktien der Deutschen Telekom AG und der Deutschen Post AG aus Bundesbesitz privatisiert werden. Eine weitere Variante wäre es, die Ausgaben für Bildung und Forschung zu erhöhen und einen Teil davon als Investitionen zu deklarieren. Ein Sprecher des Finanzministeriums erklärte, man arbeite zur Zeit an einem Haushaltsbegleitgesetz, das die Reduzierung der Eigenheimpauschale zugunsten von Bildungsinvestitionen beinhalte. JENS KÖNIG
HANNES KOCH

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