strafplanet erde: eine stadt begehrt auf von DIETRICH ZUR NEDDEN
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Die Ruhe war trügerisch. Verebbt und versickert schienen die maßlosen Verleumdungen, die an Maßlosigkeit nicht zu überbietenden Beschimpfungen, die auf die Dauer ihrerseits langweiligen Schmähungen, die Hannover traditionsgemäß als langweiligste, verschlafenste, hospitalisierteste deutsche Großstadt ins Monströs-Lächerliche ziehen. Vorbei die Zeit, so der Trugschluss, da es chic war, der Stadt an der Leine dreist jede Großstadt-Kompetenz abzusprechen oder sogar – die perfideste und infamste Schmach – sie mit Nichtachtung zu strafen oder Mitleid zu heucheln. Wenn überhaupt noch angepöbelt, galt Hannover unter den handicapped Ballungszentren immerhin als Primus unter vielen Gleichen. Und es war verlorene Liebesmüh einer partisatanischen Minderheitsfraktion, durch freiwillige Selbstbezichtigung das demagogische Feuer wieder anzufachen; Versuche, allein deshalb initiiert, um das Geheimnis zu hüten, dass Hannover – darin Mallorca gleich – kleinodielle Reize besitzt.

Doch dann ging’s wieder los. Wolken näherten sich von Süden und verdüsterten die Performance der Hannover Messe, die nicht mehr als „die größte Messe der Welt“ firmiert, sondern bloß noch larifari als das „weltweit wichtigste Technologieereignis“. Auf der Abschussliste auch das zweite Kerngeschäft, das „größte Schützenfest der Welt“. Dorfgemeinden wie Luzern und Neuss muckten auf, sie hätten selber welche und die seien größer. Umgehend gab die Stadtverwaltung Hannovers für 600 Milliarden Euro ein Gutachten bei Roland Berger Strategy Consultants in Auftrag, die über eine Prädikatsänderung nachdenken. Favorisiert wird momentan der Vorschlag: „Das größte hannoversche Schützenfest weltweit.“

Machtvoller noch rollte die nächste Angriffswelle auf die Stadt zu, die dann endlich zu konsequenter Vorwärtsverteidigung führte. Als bekannt wurde, dass die Kriminalitätsstatistik 2003 Hannover in der Rangliste der zehn deutschen Metropolen der Erwähnung nicht für würdig befinden würde, reagierte die Bürgerschaft beherzt und beantragte eine Wild Card. Man entsann sich einer der weltweit berüchtigtsten Verbrecher, des hannoverschen Serienmörders Fritz Haarmann, der einer Moritat zufolge seine Opfer zu Wurst verarbeitet haben soll. Das Thema war umso aktueller, als eine Boulevardzeitung nach der 1:5-Klatsche der Nationalmannschaft in Draculas Heimat eine irre witzige Montage veröffentlichte: Die Spieler waren als Würste in diversen Geschmacksrichtungen präsentiert worden, unter anderem als Jagd-, Koch-, Streich- oder Null-Bock-Wurst.

Die Zeichen instinktiv richtig antizipierend, rief die Freie Fleischer-Innung Hannover zum 1. Mai die „Bratwurst-Meisterschaft“ aus. „Spaß für Kid’s“ war angekündigt, aber vor allem ein interaktives Gewinnspiel: Das Publikum verkostete für zwei Euro pro Portion „die 10 verschiedenen Bratwurst-Kreationen“ und bestimmte anhand eines Wurstwahlzettels den „Bratwurst-Favoriten“. Im Angebot neben Bärlauchbrat-, Gyrosbrat- und „mediterranen Würstchen“ auch die schnickschnacklose Bouillon-Bratwurst, die prompt zur „Original Hannover Wurst 2004“ gekürt wurde. Wir gratulieren. Alles wieder im Lot.